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Ein erster Schritt

Abkehr vom gewohnten Blick: Während sich die Berlin Biennale postkolonialen Fragen widmet, hinterfragt das Mammutprojekt „Museum Global“ den gängigen Kunstkanon

Tita Salinas „1001st Island – The Most Sustainable Island in Archipelago“ (2015, Still, HD-Video, Farbe, Ton, 14' 11) aus der Ausstellung „Revision einer Sammlung“ im Hamburger Bahnhof Foto: Tita Salina

Von Beate Scheder

Dass Superhelden ausgedient haben, wusste Tina Turner bereits 1985. „We don’t need another hero“, sang sie damals im Titelsong des dritten Teils der Action-Dystopie „Mad Max“. Dass die neueste Ausgabe der Berlin Biennale, die am 8. Juni eröffnet und bis zum 9. September andauert, sich eben diesen Song als Titel gegeben hat, ist programmatisch zu verstehen: Anstelle auf einen Retter in der Not zu hoffen, erkunde die 10. Berlin Biennale das politische Potenzial von Strategien der Selbsterhaltung und verweigere sich dabei „starren Wissenssystemen und standardisierten historischen Narrativen, die zur Entstehung toxischer subjektiver Sichtweisen beitragen“, heißt es in der Ankündigung.

In den Fokus rücken stattdessen „alternative Konfigurationen von Wissen und Macht, die Widersprüche und Komplikationen zulassen“. Wie auch immer das konkret aussehen mag – über das Programm ist noch nicht viel bekannt – eine gewisse Leichtigkeit scheint das kuratorische Team um Gabi Ngcobo seinen Themen durchaus abgewinnen zu können. Davon zeugt zumindest der Tina-Turner-Ohrwurm.

Künstler aus dem Süden

Rund 50 Künstler*innen sollen dafür sorgen, dass die 10. Berlin Biennale ihrem Anspruch gerecht werden kann. Die Namen sprechen für sich, für eine Abkehr vom eurozentrischen, weißen Blick, für eine vielschichtige Auseinandersetzung mit postkolonialen Fragestellungen. Der Großteil der Künstler*innen stammt aus der südlichen Hemisphäre, mit Ngcobo wurde erstmals eine Afrikanerin auf diese Position berufen, ihr Mitarbeiter*innen sind allesamt dunkelhäutig.

Dass nach der merkwürdig affirmativen Berlin Biennale vor zwei Jahren, damals kuratiert von dem Post-Internet-Kollektiv DIS, in der kommenden Ausgabe kritischere Töne angespielt werden, ist auszugehen. Weniger mutig ist hingegen die Wahl der Veranstaltungsorte. Hauptaustragungsort der Biennale ist traditionell das KW Institute for Contemporary Art. Ergänzend wurden die Akademie der Künste am Hanseatenweg, der Volksbühnen-Pavillon, das HAU Hebbel am Ufer und das ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik ausgewählt. Selbst der außergewöhnlichste davon, das ZK/U, in einem ehemaligen Güterbahnhof am Westhafen gelegen, ist dem interessierten Berliner Kulturpublikum hinreichend bekannt. Nun, letztlich kommt es auf die Inhalte an.

Die Berlin Biennale ist nicht die einzige Kunst-Großveranstaltung, bei der diese von postkolonialen Diskursen geprägt sind. Das Humboldtforum, das Ende 2019 eröffnet werden soll, sucht hierfür noch immer seine Linie. Erfreulicher sind da die Projekte des 2012 von der Kulturstiftung des Bundes initiierten Programms „TURN“, das sich um eine engere Kooperation zwischen Deutschland und afrikanischen Ländern bemüht. Gefördert wird mit dem Fonds in diesem Jahr auch das Recherche- und Ausstellungsprojekt „Digital Imaginaries – Africas in Production“ in Karlsruhe, Johannesburg und Dakar. Die Schau, die der Rolle von Kulturtechniken bei der Konstruktion kollektiver Vorstellungen von Afrika nachgeht, eröffnet am 8. Oktober im Karlsruher ZKM.

Andere Formate bieten den Diskursen immerhin neues Futter: Im Londoner Victoria & Albert Museum etwa läuft seit dem 5. April die Ausstellung „Maqdala 1868“, die äthiopische Kunstschätze präsentiert, die von den Briten vor 150 Jahren geplündert wurden. Die Schau löste eine Kontroverse um den Umgang mit Raubkunst aus: Während Äthiopien die Kunstgüter zurückforderte, bot das Victoria & Albert Museum an, diese dauerhaft an das Ursprungsland zu leihen.

Berlin Biennale: Eröffnung 8. 6., Laufzeit 9. 6.–9. 9., verschiedene Orte, www.berlinbiennale.de/de

Maqdala 1868: Victoria & Albert Museum London, bis 30. 6. 2019, www.vam.ac.uk

Museum Global & Projekt TURN der Kulturstiftung des Bundes, www.kulturstiftung-des-bundes.de. Dazu gehören u. a.:

Hello World. Revision einer Sammlung“ im Hamburger Bahnhof Berlin, bis 26. 8., www.smb.museum.de

Mikrogeschichten einer ex-zentrischen Moderne“ in der Kunstsammlung NRW Düsseldorf, 10. 11.–10. 3. 2019, www.kunstsammlung.de

Gruppendynamik. Die Sammlung Blauer Reiter und Künstlerkollektive der Moderne im globalen Kontext“ im Lenbachhaus München, ab Frühjahr 2021, www.lenbachhaus.de

Digital Imaginaries – Africas in Production“ im ZKM Karlsruhe, 8. 10.–31. 1. 2019, https://zkm.de/de (bs)

Das Thema treibt die europäischen Museen um. Schon im vergangenen Jahr startete das Mammutprojekt „Museum Global“ der Kulturstiftung des Bundes, das sich zur Aufgabe macht, den hiesigen Kunst-Kanon kritisch zu hinterfragen und nach blinden Flecken in den Sammlungsgeschichten der Häuser zu fahnden. Von November 2017 bis April 2018 lief im MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main mit „A Tale of Two Worlds. Experimentelle Kunst Lateinamerikas der 1940er- bis 80er-Jahre im Dialog mit der Sammlung des MMK“ die erste Großausstellung der Reihe.

In Berlin eröffnete Ende April „Hello World. Revision einer Sammlung“ im Rahmen von „Museum Global“. In der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf folgt ab dem 10. November „Mikrogeschichten einer ex-zentrischen Moderne“. Den Abschluss der Reihe bildet im Frühjahr 2021 „Gruppendynamik. Die Sammlung Blauer Reiter und Künstlerkollektive der Moderne im globalen Kontext“ im Lenbachhaus München.

Die aktuell laufende Berliner Sammlungs-Revisions-Ausstellung im Hamburger Bahnhof, die noch bis zum 26. August zu sehen ist und von 13 Kuratoren konzipiert wurde, ist von gigantischem Ausmaß: 10.000 Quadratmeter bespielt die Schau, vertreten sind mehr als 250 Künstler*innen, ausgestellt mehr als 200 Werke aus den Beständen der Nationalgalerie, 150 Berliner Leihgaben aus dem Ethnologischen Museum, der Kunstbibliothek, dem Kupferstichkabinett, dem Museum für Asiatische Kunst und dem Zentralarchiv sowie dem Ibero-Amerikanischen Institut und der Staatsbibliothek zu Berlin und weitere 400 Exponate aus nationalen und internationalen Sammlungen.

Alles sehen kann man bei einem Besuch beim besten Willen nicht. Es empfiehlt sich, mehrfach wiederzukommen. Überhaupt soll es – so heißt es – mit der Idee, die eigene Sammlungspolitik zu überdenken, am Ende der Laufzeit nicht vorbei sein. „Hello World“ ist also nur ein erster Schritt.