Das Ruder herumwerfen

Cornelius Bockermann hat mit Hilfe von 160 Freiwilligen aus aller Welt einen alten Frachtsegler bei Bremen neu aufgebaut und transportiert damit schadstofffrei Luxusgüter

Hat sich vom großen Geld verabschiedet, um für saubere Schifffahrt in See zu stechen: Cornelius Bockermann (Mitte) Foto: JOTO

Von Gernot Knödler

Irgendwann hatte Cornelius Bockermann genug. Genug von der Korruption, von ölverseuchten Flüssen und dem grauen Schleier, der über den Schifffahrtsstraßen dieser Welt liegt. „Ich habe eingesehen, dass ich so etwas nicht mit meinen Wertvorstellungen in Einklang bringen kann“, sagt der 59-Jährige. Ende November ist sein Frachtsegler Avontuur in Funchal, Madeira angekommen, im Oktober war Bockermann mit seinem Team in die Karibik gesegelt.

Rückblende: An einem Montag im Mai steht Bockermann in einer roten Latzhose an Bord des Frachtseglers Avontuur und überwacht das Löschen der Ladung. Die Avontuur hat am Kai des Hamburger Hafenmuseums festgemacht. Von Hand wie zu Großvaters Zeiten wird hier Kaffee, Kakao und Kardamom gelöscht. Junge Männer von der Firma Yogi Tea in roten T-Shirts werfen einander die duftenden Säcke zu, die Gangway hinauf bis zum Kai.

Was hier gelöscht wird, wurde biologisch produziert, schadstofffrei verfrachtet und wird per Lastenfahrrad zum Endkunden gebracht. „Wir transportieren sauber, das kann sonst keiner“, sagt Bockermann zufrieden. Die Avontuur ist sein „Leuchtturmprojekt“, das zeigen soll, dass umweltfreundlicher Seeverkehr kein Hexenwerk ist, aber auch, „dass wir zu viel konsumieren“. Bis dahin war es ein weiter Weg.

Nachhaltigkeit Fehlanzeige

Denn wie Bockermann bis 2012 sein Geld verdient hat, hatte mit Nachhaltigkeit wenig zu tun. Der Kapitän auf großer Fahrt arbeitete im Hafen der nigerianischen Hauptstadt Lagos, einem der dreckigsten Häfen der Welt. Cornelius Bockermann barg mit seiner Firma havarierte Schiffe und Wracks. An sich eine sinnvolle Sache, doch das Geschäft hat seine Tücken: „Den Job kriegtest du, weil ein Regierungsfuzzi viel Geld damit verdient hat“, erzählt Bockermann. Jede Firma, die hier ein Geschäft machen wolle, müsse „nützliche Ausgaben“ deklarieren – ein Euphemismus für Bestechungsgeld.

Der erste Ausstieg

2002 war Bockermann deshalb schon einmal ausgestiegen. Zuvor hatte er zehn Jahre lang im Niger-Delta Transporte organisiert. Er dirigierte die Lastwagen und Bargen mit Material und Ausrüstung für den Pipelinebau, besaß seine eigene Pipelinebaustelle im Delta. „Da wird sehr schmutzig gearbeitet“, sagt Bockermann und jeder, der hier mitmische, sei eben Teil der Maschinerie. „Bist du nur verantwortlich, wenn du am Bohrturm stehst“, fragt er, „oder eben auch, wenn du den Schlepper fährst?“

„Fett Geld“ sei in Nigeria zu verdienen. „Zehn Millionen Umsatz machte allein meine Abteilung“, sagt er. Er sei jahrelang nur First Class geflogen und habe sich eine Sportwagensammlung zugelegt. Jetzt sitzt er in knallroter Latzhose und T-Shirt in der Kombüse der Avontuur, wo ein paar Aktivisten gerade noch Gemüse geschnippelt haben.

Bockermann – „Cornelius – wir duzen uns an Bord“ – ist ein leidenschaftlicher Schrauber. Mit 14 Jahren hat er sein erstes Mercedes-Getriebe repariert. „Es war ganz klar“, sagt er. „Ich werde Mechaniker.“ Als solcher heuerte er irgendwann auf einem Schiff an und blieb der Seefahrt treu. Nach und nach machte er die nötigen Patente – bis hinauf zum Kapitän auf großer Fahrt.

2012 hatte er die Nase vollends voll. „Es sind die Gespräche mit meiner Frau gewesen“, erzählt er, einer christlich orientierten Lehrerin an der deutschen Schule. Ihm sei klar geworden, dass er Teil einer sozial- und umweltzerstörerischen Industrie geworden war. Bockermann und seine Frau beschlossen, nach Australien auszuwandern und eine Firma „mit einem hohen ethischen Anspruch in allen Parametern“ zu gründen. Das Unternehmen war zunächst nur eine Hülle mit einem Namen: „Timbercoast“, wegen des vielen Waldes an ihrer Küste. Eine Firma zu gründen, sei immer hilfreich, sagt Cornelius: „Wenn du eine Idee hast, kannst du sie gleich umsetzen.“

Cornelius beobachtete vor Ort, wie das Große Barriere-Riff nicht zuletzt durch die Handelsschifffahrt zerstört wurde, und war erstaunt, wie wenig sich die australische Regierung darum scherte. Er trat der australischen marine conservation society bei, war aber enttäuscht über deren geringe Schlagkraft. Dann kam ihm die Idee: „Wir werden ein Segelschiff in Fahrt bringen und in jedem Hafen laut gegen die Umweltzerstörung protestieren.“

Umbau in Handarbeit

In den Niederlanden findet er einen zum Küstenmotorschiff umgebauten Segler aus den 20er Jahren – die Avontuur. Über Internetplattformen wie helpx mobilisiert er Freiwillige und macht sich auf einer Werft in Elsfleth bei Bremen an die Arbeit. Sie entkernen das Schiff bis auf die leere Hülle und machen daraus ein neues im alten Stil – alles in Handarbeit. Nach rund zwei Jahren Arbeit kann die Avontuur im Mai 2016 in See stechen. Die Besatzung besteht aus dem Kapitän und fünf regulär beschäftigten Matrosen. Dazu kommt ein Dutzend sogenannter Shipmates, Freiwillige, die als Hilfsmatrosen angelernt werden und dafür bezahlen, dass sie das Schiff in Fahrt halten dürfen.

„Bist du nur verantwortlich, wenn du am Bohrturm stehst“, fragt er,

„oder eben auch, wenn du

den Schlepper fährst?“

Bockermann wäre nicht Bockermann, wenn er nicht so planen würde, dass sich sein Projekt zumindest mittelfristig rechnet. Die Avontuur transportiert Ladung, für die Nachhaltigkeit ein Kaufkriterium ist und die durch den Transport veredelt wird, wie Rumfässer, auf deren Verkauf sich der Kapitän schon freut.

Die Betriebskosten des Schiffes liegen bei 50.000 Euro im Monat. 30.000 Euro im Monat verdienten sie zurzeit, sagt Bockermann. Im kommenden Jahr will er schwarze Zahlen schreiben. „Wir schreiben gerade den Businessplan für einen neuen modernen Frachtsegler“, sagt der Kapitän. Ziel ist eine ganze Flotte. Die Bioladen-Bewegung habe auch nicht anders angefangen, sagt Bockermann.

Tropfen auf dem Stein

Selbst so eine Flotte wird ein winziger Tropfen auf den heißen Stein der Frachtschifffahrt sein. Sie wird aber das Bewusstsein dafür schärfen, wie schädlich die Handelsschifffahrt ist, die auf hoher See fast ausschließlich Schweröl, das dreckigste aller Erdölderivate verbrennt und entsprechend viel Stickoxide, Schwefeldioxid und Ruß in die Luft bläst.

Nach Angaben des Bremer Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik ist die Seeschifffahrt für zwei bis zweieinhalb Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Das entspricht dem Anteil Deutschlands. „Aber sobald man 100 Kilometer ins Inland fährt, weiß das kein Mensch mehr“, sagt Bockermann.