WM 2018 in Russland: Vorbereitung auf den Worst Case

Mit Verboten, Waffen und viel Personal will man bei der WM für Sicherheit sorgen. Experten warnen vor islamistischen Anschlägen.

Bereitschaftspolizisten nehmen vor dem Sankt-Petersburg-Stadion an einer Übung teil

Wird die WM 2018 von islamistischen Anschlägen bedroht? In Russland üben die Po­li­zis­t*in­nen Foto: dpa

MOSKAU taz | „Die Sicherheitskonzepte sind auf höchstem Niveau“, meint Helmut Spahn, Sicherheitschef des Fußball-Weltverbands (Fifa). Schon beim Confederations Cup, der Generalprobe zur WM im vorigen Jahr, sei die Fifa mit der Vorbereitung russischer Sicherheitskräfte sehr zufrieden gewesen. Russland verfügt über Erfahrungen mit Großveranstaltungen und dies auch im Umfeld des volatilen Nordkaukasus. Erst 2014 fanden in Sotschi die Olympischen Winterspiele statt.

Der Nordkaukasus ist Russlands erfolgreichstes Rekrutierungsgebiet. Nach wie vor stammen die meisten russischen Dschihadisten des „Islamischen Staats“ (IS) aus dieser Bergregion. Sie kämpften im Irak und in Syrien. Nach unterschiedlichen Schätzungen soll es 4.000 bis 5.000 russische Gotteskrieger in den Reihen des IS geben.

Während der Winterspiele kam es in Sotschi zu keinen terroristischen Zwischenfällen. Dass die Wettbewerbe in einem Hochsicherheitstrakt stattfanden, daran störten sich die meisten Besucher damals gar nicht. Das wird sich auch bei der Fußball-WM nicht ändern. Dennoch findet die Weltmeisterschaft in einem veränderten Umfeld statt.

Militante Rückkehrer aus Syrien seien zum Angriff bereit, meint Chris Hawkins. Sie würden Russlands militärische Intervention im Nahen Osten ablehnen, sagt der Sicherheitsexperte von der Londoner Zeitschrift für Sicherheitspolitik, Jane’s. „Für Täter ist das eine ersehnte Herausforderung“, so Hawkins. Je näher der WM-Beginn rückt, desto häufiger versuche der IS auch über eigene Medien Einzeltäter zu Taten mit einfachen Waffen oder Autos anzustiften. Überdies kursieren im Netz Videos, in denen Gotteskrieger vor russischen Stadien mit Maschinenpistolen posieren.

Auch das BKA ging in einem vertraulichen Bericht von einer hohen Terrorgefahr durch radikale Islamisten aus. Der letzte Anschlag fand im April 2017 in der Sankt Petersburger Metro statt. Er kostete 16 Menschen das Leben. Sicherheitsexperten beruhigen unterdessen: Russland habe alle erdenklichen Szenarien für Angriffe durchgespielt.

Nationalgarde mit Elektroschockern ausgestattet

Die Niederlage des IS in Syrien verändert die Lage jedoch, da weit mehr Kämpfer als erwartet nach Russland zurückkehren. Wie viele Polizisten, Militärs, Nationalgardisten und Geheimdienstler im Einsatz sein werden, bleibt ein Geheimnis. Es dürften aber mehrere Hunderttausend sein. Allein das Katastrophenschutzministerium stellt 40.000 Kräfte ab. Private Sicherheitsdienste wurden mit 14.000 in die Pflicht genommen.

Darüber hinaus sollen Zehntausende Kameras installiert sein. In Russland soll sich nicht wiederholen, was sich bei der EM in Frankreich vor zwei Jahren abspielte. Englische und russische Hooligans fielen in Massenschlägereien übereinander her. Einige in Russland waren sogar ein bisschen stolz auf die Jungs. Nun ist Moskau aber Gastgeber und trägt Verantwortung. Wladimir Putin sprach der Polizeiführung daher ins Gewissen. „Von der Gründlichkeit Ihrer Arbeit hängt das Image des Landes ab“, mahnte er.

Die eigenen Hooligans hat Moskau inzwischen im Griff, behaupten Kenner der Szene. Dem Hooligan Alexander Schprygin von Dynamo Moskau wird gerade der Prozess gemacht. Das teilte er auf Anfrage mit. Schprygin erhielt Stadionverbot und schweigt seither. Die WM ist für ihn wie für viele andere bereits im Vorfeld gelaufen.

Schlachtrufe englischer Hooligans, die den Russen einen „vierten und fünften Weltkrieg“ im englischen Boulevardblatt Daily Star prophezeiten, sorgen zwar für notwendiges Kolorit. Die Sicherheitskräfte dürften dies im Vorfeld jedoch verhindern. „Soll der Gegner mit Messern und Baseballschlägern vorgehen, uns Briten reichen die Fäuste“, prahlte ein Draufgänger von der Insel.

Für solche Fälle wird die russische Nationalgarde mit hochkarätigen Elektroschockern ausgestattet. Sie sollen noch rechtzeitig ausgeliefert werden, bevor sich in Moskau entscheidet, ob die britische Elf ins Achtelfinale einzieht.

Infraschallwellen, um Massen beruhigen

Wladimir Markin, Fan-Beauftragter des russischen Fußballverbands, riet „ausländischen Fans mit bösen Absichten“ zu einem Blick in Russlands Geschichte und sich den Krieg gegen den Faschismus anzusehen. „Wie viele Herren haben wir empfangen und was ist aus ihnen geworden?“, so Markin. Sollte sich die Fanszene doch verselbständigen, so haben die Sicherheitskräfte auch neue Waffen im Arsenal. „Schepot“ etwa, „Geflüster“ auf Deutsch. Diese Maschine sendet für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbare Infraschallwellen aus. Damit sollen Menschenmassen zur Ruhe gebracht werden können.

Zudem wurde an einigen Spielorten das Grillen unter freiem Himmel verboten. Der Grund dafür sind Waldbrände, die im Sommer 2010 weite Teile des europäischen Russlands in Rauschschwaden hüllten. Einige Industriebetriebe mit Schadstoffentwicklung müssen für die WM ebenfalls den Betrieb einstellen. Auch Drohnen und kleinere Privatflugzeuge sollten 110 Kilometer vor den Spielstätten abdrehen. Demonstrationen sind auf Weiteres untersagt. Im Umkreis der Spielstätten wird der Alkoholverkauf untersagt.

Kaliningrads Bürgermeister empfahl den Einwohnern, für die Zeit der WM die Stadt zu verlassen. Hunderttausend Gäste kämen, für alle würde es zu eng. Völkerverständigung hin oder her.

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