„Wir sind jetzt der Maßstab“

Fünfmal hat Olympique Lyon die Champions League gewonnen. Immerhin weiß die Elf um Dzenifer Maroszan nun, was Rückstand ist

„Unglaubliche Wert­schätzung“: Dzenifer Marozsan (r.) Foto: dpa

Dzsenifer Marozsan nannte es „gnadenlos“, wie ihr Team Olympique Lyon nach dem Wolfsburger Platzverweis seine numerische Überlegenheit ausgenutzt hat. Auch ihre Analyse ließ an Gnadenlosigkeit nichts zu wünschen übrig. Zum entscheidenden Platzverweis von Alexandra Popp sagte die deutsche Nationalspielerin: „Wenn Wolfsburg zu ungeschickt in den Zweikampf geht und dadurch die Rote Karte provoziert, dann passiert so etwas.“

Zehn Wolfsburgerinnen – das war eine Unterforderung für Marozsans Weltklasseteam. Und mit Unterforderungen kennt sich Olympique Lyon bestens aus. In der heimischen Liga gewann man abgesehen von einem Remis alle Spiele – bei einem Torverhältnis von 98:5. Das Champions-League-Finale war für die Französinnen schon deshalb eine Ausnahmesituation, weil das Team bis zum Platzverweis erstmals richtig gefordert wurde in dieser Saison.

Das Gefühl, in Rückstand zu geraten – und sei es auch nur für fünf Minuten – kennt man in Lyon einfach nicht. Amadine Henry, die Torschützin zum Ausgleichstreffer, war ganz beglückt von diesen aufregenden Grenzerfahrungen: „Ich habe noch nie in einem Spiel wie diesem gestanden mit so vielen Wendungen und Überraschungen. Natürlich bin ich glücklich, und ich werde die Erinnerungen wie einen Schatz hüten.“

Im Glück ist auch Dzsenifer Maroszan. „Es ist unglaublich, wir haben mit dem dritten Titel in Folge Geschichte geschrieben. Und es ist unglaublich, welche Wertschätzung ich bekomme, seitdem ich in Frankreich bin. “ Zum zweiten Mal in Folge wurde die technisch versierte 26-Jährige in der französischen Liga gerade zur besten Spielerin der Saison geehrt – gemeinsam mit Neymar, dem Gewinner bei den Männern.

In Deutschland wurde manchmal bemäkelt, Maro­szan neige dazu, in wichtigen Spielen unterzutauchen. Zuletzt musste sie sich 2017 bei der Europameisterschaft mit dieser lästigen Debatte herumschlagen. Beim Finale in Kiew begann sie gut und ließ dann etwas nach, aber bedeutend war das nicht.

Auch wenn derzeit viele europäische Spitzenspielerinnen von englischen Vereinen umworben werden, sieht Maro­szan ihre Zukunft weiter in Lyon: „Ich bin kein Fan des englischen Fußballs. Ich mag mehr den technisch-spielerischen Fußball.“ Der Konkurrenz sieht sie gelassen entgegen: „Ich finde es super, dass der Frauenfußball sich weiterentwickelt. Wir sind der Maßstab, jetzt wollen andere Mannschaften nachziehen. Dann macht es noch mehr Spaß.“

„Ein Spiel mit so vielen Wendungen habe ich noch nie erlebt“

Amandine Henry, Lyon

Mit Marozsans Jahressalär von (geschätzte 300.000 Euro) hat Olympique im Frauenfußball ebenfalls Maßstäbe gesetzt. Dem Klubpräsidenten Jean-Michel Aulas ist es einiges wert, wenn die besten Spielerinnen Europas kommen. In Kiew hat Maro­zsan ihm ihre Reverenz erwiesen: „Als ich aufs Siegerpodest hochgegangen bin, um meine Medaille abzuholen, habe ich mich zuerst bei ihm bedankt.“ Und schwärmend fügt sie hinzu: „Grandios, dieser Mann. Ich habe noch nie so einen Präsidenten im Frauenfußball erlebt.“

Der kontinuierlichen Unterstützung ihres Gönners verdankt das Frauenteam seine Vormachtstellung in Europa. Er hat in Lyon schon seit gut einem Jahrzehnt die infrastrukturellen Möglichkeiten des Männerteams den Frauen zugänglich gemacht. Mit fünf Champions-League-Titeln ist Lyon seit Donnerstagabend Rekordhalter. Und sollte mit dem französischen Pokalsieg am 31. Mai gegen Paris St. Germain wieder mal das Triple gelingen, dann lädt Aulas das Team wie fast jedes Jahr zu einer großen Sause nach St. Tropez ein. (jok)