Saxofon-Ikone aus den USA: Er ist gekommen, um zu bleiben

US-Saxofonist Kamasi Washington macht aus Jazz eine vibrierende Pop-Inszenierung. Am Freitag gastierte er im Berliner Astra Kulturhaus.

Saxofonist reckt Faust gen Decke

Die Faust des Zorns gegen Rassismus – Kamasi Washington Foto: André Wunstorf

Wie ein Hexenmeister steht er in seinem langen Kaftan da, im Gesicht ein entrücktes Lächeln. Kamasi Washington, imposant auch von Gestalt, lauscht seinen Musikern, mit denen er zu diesem Zeitpunkt schon gut anderthalb Stunden gespielt hat, ekstatisch, wuchtig, euphorisch, und wirkt, als müsse er gar nichts weiter tun, als den Dingen ihren Lauf zu lassen. Kein Hokuspokus nötig; sein Publikum hat der Zauber in dem Moment ergriffen, als Washington mit knappem Gruß die Bühne betreten hat.

Washington – das wird am Freitagabend im Berliner Astra (wo sonst meistens Rapper auftreten und Indiebands, aber bestimmt keine Jazzkünstler) noch einmal klar – ist ein Phänomen. Wieso schafft es der 37-Jährige, große Hallen zu füllen? Mit einem Saxofon? Das Konzert ist seit Langem ausverkauft. Alle sind gekommen, Junge, Ältere, um Washington zuzuhören und rauschhaft im Takt mitzuwiegen. Sich seiner Energie zu entziehen – unmöglich!

Kamasi Washington, geboren in Los Angeles und aufgewachsen im afroamerikanisch geprägten Inglewood, verdiente sich zunächst musikalische Lorbeeren als Dienstleister für andere, arbeitete im Hintergrund für Lauryn Hill und Snoop Dogg, bis der Elektronik-Produzent Flying Lotus auf ihn aufmerksam wurde und der Rapper Kendrick Lamar ihn für sein Album „To Pimp a Butterfly“ engagierte.

2015 veröffentlichte Washington sein Major-Debüt: „The Epic“, besser hätte er das Album, mit dem er sich spektakulär ins Rampenlicht katapultierte, gar nicht betiteln können. Episch breit, episch tief, episch lang ist das Werk, aufgenommen mit 20 Sänger*innen und einem 32-köpfigen Orchester, das auf sechs Schallplattenseiten gepresst werden musste, definitiv. Als episch lässt sich aber auch das bezeichnen, was er damit auslöste, nämlich, dass er Modern Jazz Höre­r*in­­nen nahebrachte, die von sich vorher behauptet hätten, dass sie Jazz nicht ­mögen.

Pop im Idealfall

Washingtons Spiel ist auf der Höhe der Zeit, inhaltlich wie musikalisch. Er sendet kraftvolle Black-Lives-Matter-Botschaften aus und dudelt niemals selbstzufrieden vor sich hin. Es ist das, was Pop im Idealfall einzulösen vermag, mitreißend und bedeutungsvoll. Ein Konzept, dass er mit dem Doppelalbum „Heaven & Earth“, es erscheint im Juni, fortsetzen wird.

Dennoch ist es als Konzertbesucher*in eher besser, Washingtons bisheriges Werk auszublenden, um nicht enttäuscht zu werden. Dass das Konzert mit zwei Schlagzeugen, einem Kontrabass, einem Keyboard, einer Posaune und einer Sängerin anders als die überbordende orchestrale Wand seines Studiosounds klingt, ist logisch. Tatsächlich aber reicht der spirituell aufgeladene Überwältigungsjazz der Live-Versionen für den Endorphinaustoß völlig aus. „The Rhythm Changes“, Titel einer der aus „The Epic“ performten Songs, könnte als Motto dienen.

Sein Konzert hat dieses jazztypische Auf und Ab der Überraschungs-momente, diese sprunghaften Wechsel der Dynamiken, Motive

Washington ist traditionalistisch – und dann auch wieder nicht. Sein Konzert hat dieses jazztypische Auf und Ab der Überraschungsmomente, diese sprunghaften Wechsel der Dynamiken, Motive und Instrumente. Und so gelingt mit einem Pingpong von Soli und irren Läufen ein aufgeregter Energieaustausch zwischen Musikern und Instrumenten.

Retrofuturistisch

Washington ist zwar Bandleader, agiert auf der Bühne aber stets wie ein Teamplayer. Er weiß seine Crew – darunter ist übrigens auch sein Vater Rickey – anzupreisen. Wie kann man aber auch der Power dieses Cameron Graves am Keyboard nicht komplett erliegen und der divenhaften Bühnenpräsenz von Sängerin Patrice Quinn? Wenn Letztere schwelgerisch ins Sphärische gleitet, klingt sie, als vertonte sie einen 70er-Jahre-Science-Fiction-Film – und man versteht, warum einige das, was Washington tut, als Space-Jazz bezeichnen. Retrofuturistisch wäre das passende Adjektiv.

Täuschen sollte einen das nicht. In den Diskursen, an denen Washington anknüpft, ist er ganz im Hier und Jetzt, und angriffslustiger denn je. Wieder und wieder singt Quinn kurz vor Schluss die Zeilen: „We will no longer ask for justice / Instead, we will take our retribution.“ – „Fists of Fury“, Fäuste der Wut, eröffnet das kommende Album und beschließt auch das Berliner Konzert. Eine Kampfansage an Rassismus. Das Bild, das von Washingtons Auftritt bleiben wird, zeigt ihn mit erhobener Faust. Er ist gekommen, um zu bleiben.

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