Pestizidabdrift in der Landwirtschaft: Die Gefahr von nebenan

Immer wieder werden Pestizide in Gewässer, Gärten oder auf Nachbarfelder geweht. 10 Fragen und Antworten zu dem unsichtbaren Gift.

Ein Landwirt versprüht Pflanzenschutzmittel auf einem Feld

Ein Landwirt versprüht Pflanzenschutzmittel auf einem Feld Foto: dpa

Wenn konventionell wirtschaftende Bauern Pestizide einsetzen, kann es zur Abdrift kommen. Das Gift weht ab, etwa auf Nachbaräcker, Wege oder in Wohngebiete. Wie häufig passiert so etwas?

Das wird nirgendwo zentral erfasst, auch nicht vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), das für die Pestizidzulassung in Deutschland zuständig ist. Meistens werden Fälle von Abdrift – wenn überhaupt – nur einer Versicherung gemeldet, die den Schaden ersetzen soll. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft veröffentlicht keine Statistik dazu.

Keine Zahlen – also kein Problem?

Nein. Vor allem die Biobranche beklagt immer wieder, dass konventionelle Nachbarn Ökohöfe mit Pestiziden kontaminierten. Um sich zu schützen, legen viele Biobauern zum Beispiel Pufferstreifen an, die sie Fläche kosten.

Sind Pestizide auch für Privatleute wie Anwohner oder Passanten eine Gefahr?

Das Pestizid-Aktions-Netzwerk hat 2015 rund 50 mutmaßliche Fälle von Abdrift aus mehreren Jahren dokumentiert. Die Betroffenen klagten über Schmerzen beim Atmen, Übelkeit und Taubheit, nachdem Bauern sie mit Pestiziden etwa während eines Spaziergangs auf einem Feldweg eingenebelt hätten. Doch lässt sich schwer nachweisen, dass die Kontamination die Ursache für die Beschwerden war. Dazu wären zum Beispiel medizinische Untersuchungen direkt nach dem Ereignis nötig. Da die Beschwerden aber meist nur kurz anhalten, geht kaum ein Betroffener zum Arzt.

Gibt es Vorschriften ­gegen Abdrift?

Ja, die Landwirte sollen verhindern, dass ihre Pestizide andere Flächen erreichen. Zu Passanten und Anwohnern muss dem BVL zufolge mindestens 2 Meter Abstand gehalten werden, wenn das Mittel nach unten gespritzt wird. Wenn die Düsen das Pestizid zur Seite sprühen, beträgt der Mindestabstand 5 Meter. Es sei aber keine Distanz zu anderen Agrar­flächen vorgeschrieben, schreibt die Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Immerhin: Bei dauerhaften Windgeschwindigkeiten über 5 Metern pro Sekunde soll nicht gespritzt werden. Zudem soll der Traktor je nach Pflanzenart höchstens 6 oder 8 Kilometer pro Stunde fahren. Denn sonst steigt das ­Risiko, dass das Gift verweht wird.

Warum gibt es trotz der Vorschriften immer wieder Schäden durch Abdrift?

Zum Beispiel, weil sich die Bauern nicht immer an die Regeln halten. Die Behörden kontrollieren nur durch Stichproben. Zudem kann sich die Windstärke ändern – sogar während der Bauer spritzt. Viele Regeln sind zu vage. Außerdem seien viele Mindestabstände zu klein, kritisieren Umweltschützer.

Zeigt das Abdriftproblem, dass der Einsatz von Pestiziden zu riskant ist?

Nein, antwortet der Industrieverband Agrar, der auch Pestizidhersteller vertritt. Denn im Zulassungsverfahren der Mittel würden die Behörden schließlich überprüfen, wie schädlich eine Abdrift für Umwelt und Gesundheit ist. Je nach Risiko legten die Ämter fest, dass manche Gifte nur mit einem Mindestabstand oder lediglich bei schwachem Wind gespritzt werden dürfen. Würden die Regeln eingehalten werden, sei auch das Risiko vertretbar, so die Argumentation.

Wie sehen Umweltschützer das?

Der Verein Umweltinstitut München argumentiert, dass „sich Pestizidabdrift trotz Regeln und Schutzmaßnahmen nicht vermeiden lässt“. Es gebe nur eine Lösung: ein „generelles Verbot von Pestiziden“. Die Biohöfe zeigen, „dass Landwirtschaft auch ohne gesundheitsschädigende Mittel möglich ist“.

Was fordern die Biobauern?

Der Dachverband der deutschen Branche, der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), verlangt ein staatliches Pestizid-Luftmonitoring. „Damit kann man erkennen, welche Mengen an Pestiziden in welchen Zeiten ab­driften“, sagt BÖLW-Geschäftsführer Peter Röhrig. „Wir fordern, dass keine Pestizide zugelassen werden dürfen, die zu Abdriftschäden führen.“

Was kann ich tun, wenn die Pestizide vom Nachbarbauern in meinen Garten herübergeweht wurden?

Als Erstes herauszufinden, welches Mittel der Bauer benutzt hat. Man kann den Fall dem Pestizid-Aktions-Netzwerk melden, um politischen Druck aufzubauen. Sollte der Landwirt nicht kooperieren, können Betroffene ihn bei der Pflanzenschutz-Behörde anzeigen.

Verlieren Lebensmittel das Bio­siegel durch Pestizidabdrift?

Das hängt von den Behörden des jeweiligen Bundeslands ab. Manche verhängen die Sanktion sofort, manche nicht. Die EU arbeitet an neuen Verordnungen, die das ab 2021 ändern könnten.

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