Das Wortduell als hohe Kunst

„Prime Minister’s Questions“ im britischen Unterhaus ist das Vorbild aller parlamentarischen Fragestunden weltweit. Die Choreografie ist sorgfältig, der Unterhaltungswert hoch

Von Dominic Johnson

Jeden Mittwoch um 12.30 Uhr (Ortszeit) tritt im britischen Unterhaus die Premierministerin ins Plenum und stellt sich einem 30-minütigen Trommelfeuer: „Prime Minister’s Questions“. PMQ, seit 1989 im Fernsehen übertragen, ist Kult. Schneller, schärfer und straffer als sonst wo auf der Welt offenbart es die Kunst der Live-Befragung.

PMQ ist ein rhetorisches Duell. Sechs Fragen stellt der Oppositionsführer der Regierungschefin; sie stehen sich direkt gegenüber und schnauzen sich an. Es sind nur wenige Minuten, aber sie können über Karrieren entscheiden. Expremier Tony Blair nennt das Duell in seinen Memoiren die „aufreibendste, verwirrendste, angespannteste, aufwühlendste, terrorisierende, entmutigendste Erfahrung meines Lebens als Premierminister“.

An diesem Mittwoch will Jeremy Corbyn wissen, wann Theresa May denn ihr Brexit-Weißbuch zu veröffentlichen gedenkt – noch vor einer Schlüsseldebatte kommende Woche? Vor dem EU-Gipfel Ende Juni? May sagt, das Weißbuch werde kommen, aber sie nennt keinen Zeitpunkt. Sie kann nicht zugeben, dass sie ihr Kabinett nicht auf Linie hat. Stattdessen siegt sie, wie so oft, durch Beharrlichkeit im Ausweichen. Corbyn ist nicht beharrlich genug: Er verändert seine Frage ständig.

Erst spät nutzt der Labour-Chef das aktuelle Aufregerthema: das Chaos in den Sommerfahrplänen der Eisenbahn. Mays Brexit-Strategie sei so ähnlich, lästert der Labour-Chef. Labour habe gar keine, giftet die Premierministerin zurück. Vertrautes Terrain.

Seinen Unterhaltungswert bezieht das aus der Begleitmusik: das Geschrei der Hinterbänkler, der Kabarettstil des Parlamentspräsidenten John Bercow, der in lang gezogenen Tönen „Jeremy Corbyyyyyyyyn“ und „Prime Ministerrrrr“ das Wort erteilt und die Show ohne Atempause in einem enormen Tempo durchzieht.

Die Premierministerin weiß nie vorher, was kommt. Sie muss auf alles vorbereitet sein. Das gilt auch für die Fragen der Hinterbänkler aller Fraktionen, die auf den Oppositionsführer folgen. Wer eine Frage hat, muss sie zwei Tage vorher einreichen, der Parlamentspräsident wählt nach dem Zufallsprinzip 15 Fragesteller aus, gesetzt ist der Oppositionsführer. Die eingereichte Frage beinhaltet das Recht auf eine Zusatzfrage. Deswegen ist die eingereichte Frage immer die nach der Tagesordnung des Premierministers – sie wird nur einmal gestellt, am Anfang, und stereotyp beantwortet. Dann kommen die Zusatzfragen. Sie werden nicht vorher eingereicht.

An diesem Mittwoch wechseln also die Themen innerhalb von Sekunden von Supermärkten in Schottland zu hyperaktiven Kindern, und die Premierministerin muss zu allem etwas sagen, egal ob die Frage „Können Sie das Brexit-Datum bestätigen?“ lautet oder „Stimmen Sie zu, dass die Rolle von Tieren in bewaffneten Konflikten etwas ist, was das gesamte Commonwealth um uns vereinen sollte?“

Die wahre Kunst der Antwort ist da nicht der Inhalt. Sie besteht darin, gut zu parieren. Und die Kunst der Frage besteht darin, das Bonmot zu finden, das in die Geschichte eingeht.