Viel Glück für das Interim!

Zwischen gestern und morgen hängt die Volksbühne etwas in der Luft, womöglich. Besucht werden sollte das Theater trotzdem

von Katrin Bettina Müller

Ist schon eigenartig. Witzig eigentlich, aber bitter auch. Ein Sprachspiel: „No Problem/Nur Probleme“ steht auf der Rückseite des 2. Spielzeithefts, das die Volksbühne Anfang des Jahres herausgab, für die Zeit von Januar bis Ende der Saison.

Eigenartig, dass mir das erst jetzt als vorausschauender Spruch auffällt, anlässlich eines Besuches bei Klaus Dörr. Er war Ende März vom Land Berlin als neuer Geschäftsführer der Volksbühne, ab Beginn der kommenden Spielzeit 2018/19, berufen worden. Und wurde dann mit dem Rücktritt des Intendanten Chris Dercon am 13. April zum kommissarischen Intendanten ernannt. Bis Ende dieser Spielzeit zunächst, voraussichtlich aber bis zu dem Zeitpunkt, zu dem eine neue Leitung gefunden ist. Was ein bis zwei Spielzeiten dauern kann.

Was geschieht jetzt in der Zeit des Wartens bis zu einer Entscheidung in dem Haus? Vor der Zukunft liegt die Gegenwart, in der das Theater weiter spielen soll und Besucher braucht. Diese Übergangszeit zu gestalten kann nicht einfach sein.

Was an Verträgen schon geschlossen war, wird eingehalten. Die Zusammenarbeit mit der Regisseurin Susanne Kennedy geht weiter, sie bringt im Januar ein neues Stück heraus. Die Choreografin Anna Teresa de Keersmaeker wird im September wiederkommen, auch das Regie-Team Mohammad al Attar/Omar Abu­saada.

Zurzeit probt Boris Charmatz, der französische Choreograf, der die Eröffnung auf dem Tempelhofer Feld einrichtete, sein großartiges Stück „enfant“, das er für die Berliner Version (ab 21. Juni) mit Kindern von hier neu einstudiert. Die Bilder, die „enfant“ vom Verhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen liefert, von Schutz und Macht, sind irritierend. Nichts ist einfach natürlich oder Gesetz, wie im Alltag oft dargestellt, alles hat eine Geschichte, das wird hier spürbar. Das Stück wird auch im Dezember, in der kommenden Spielzeit, wieder gezeigt.

Das Haus geschlossen?

Es gibt also Bausteine, die übernommen werden und eine Spur des Konzepts von Dercon und der Programmdirektorin Marietta Piekenbrock erhalten, deren Vertrag inzwischen ebenfalls aufgelöst wurde. Daneben aber sah sich Dörr mit vielen Abenden konfrontiert, an denen das Haus geschlossen wäre, was sowohl den Imageschaden, wie das finanzielle Defizit weitertreiben würde.

Also musste er, als kommissarischer Intendant, nach kurzfristig zu treffenden Vereinbarungen suchen. 16 Tage war er offiziell im Amt, als diese Aufgabe auf ihn zukam. Fünf Wochen sind seitdem vergangen, und auch wenn Klaus Dörr noch keine Namen nennen kann, ist er doch sechs Wochen nach Dercons Abgang zuversichtlich, für den Spielplan bis Ende des Jahres demnächst zusätzliche Produktionen ankündigen zu können: darunter eine Eigenproduktion, ein oder zwei Übernahmen bestehender Inszenierungen anderer Theater und ein oder zwei Gastspiele mit längeren Aufführungsreihen.

Schon am Wochenende nach Dercons Rücktritt, erzählt Dörr, haben ihm viele Theater Solidarität signalisiert. Klaus Dörr, der als geschäftsführender Direktor lange mit Armin Petras, zuerst am Gorki-Theater in Berlin, dann in Stuttgart zusammengearbeitet hat, kann dabei auf kurze Kommunikationswege setzen, er weiß, wie man schnell überprüft, was eine Übernahme technisch bedeutet und was sie kostet. Vom Gorki-Theater in Berlin nahmen er und Petras zum Beispiel Inszenierungen nach Stuttgart mit.

Einige der Regieteams, die er aus diesen Jahren kennt, sind in Berlin jetzt an andere Häuser gebunden, ans Deutsche Theater und ans Berliner Ensemble. Die will er jetzt nicht fragen, dass sich die Häuser unterscheiden, bleibt wichtig.

Wenn Dörr, ohne Namen zu nennen, von der großen Hilfsbereitschaft der Theaterwelt erzählt, berührt das auch merkwürdig. Dörr sagt es nicht so, aber es scheint, als sei der Rücktritt von Dercon notwendig gewesen dafür, an diesem Haus spielen zu wollen.

Mit möglichst vielen reden

Nicht nur von Stadttheatern, auch aus der freien Szene, teils auch aus dem Umfeld der Besetzergruppen erhält Dörr viele Vorschläge. Er will mit möglichst vielen reden, aber bei der hohen Zahl der Vorschläge und der Begehrlichkeiten, Volksbühnenräume nutzen zu können, ist das nicht einfach einzuhalten.

Noch sind am Haus viele Mitarbeiter dabei, sich neu zu sortieren. Dörr redet in unterschiedlichen Runden mit vielen der 250 Mitarbeiter und plant Eigenproduktionen und Übernahmen nicht zuletzt, um den vorhandenen Apparat zu nutzen, um den Leuten aus den Werkstätten, der Maske, der Kostüme die latent schwelende Sorge um ihren Arbeitsplatz zu nehmen. Die Betriebsstruktur des Hauses ist auf ein Ensembletheater und Repertoire ausgelegt, so die Prämisse seiner Planung. Das Konzept von Dercon/Piekenbrock stand dazu strukturell und ökonomisch in einem Widerspruch, den aufzulösen keine einfache Aufgabe ist.