Nach dem Skandal

Mit der Ausstellung „Keep away from Fire“ holt Šejla Kamerić die Verdammten dieser Erde zurück in die Sichtbarkeit – und sei's als Ornament

Kleiner Bär, was nun? In der Ausstellung hat sich Šejla Kamerićs depressiver Riesenteddy hingelegt. Glücklicher wirkt er dadurch nicht Foto: Edvin Kalic / GAK

Von Jan-Paul Koopmann

Dieser Riesenteddy in der hinterletzten Ecke der GAK: er sieht schon traurig aus, wie er mit seinen komischen Lederaugen apathisch ins Leere glotzt, erschöpft von der Welt und überhaupt. Mittlerweile liegt er müde auf der Seite. Also entweder so, als verdaue gerade irgendwas. Oder irgendjemanden. Zuzutrauen wär’s ihm, wo er doch aus Kadavern besteht.

Die bosnische Künstlerin Šejla Kamerić, deren Ausstellung „Keep Away From Fire“ soeben eröffnet wurde, hat ihn aus ausrangierten Pelzmänteln hergestellt. Hie und da blitzt ein Fuchsschwanz im vermeintlichen Bärenfell auf, am Arm klebt ihm ein ganzer Marder. In diesem raumgreifenden Anblick werden gleich mehrere der Widersprüche fassbar, um die es auch den übrigen Exponaten geht – das schöne Tote, das verwaiste Kuscheltier – aber auch die gesellschaftliche Frage nach dem Konsum: So ein Pelzmantel, sagt Kamerić, war mal etwas zum Vererben an Tochter und Enkelin, eine Anschaffung für mehr als nur ein Leben.

Jetzt ist es Müll, so wie die anderen Klamotten, die wir saisonweise kaufen und dann zügig entsorgen. Oder eben doch nicht ganz so, wie Kuratorin Janneke de Vries ergänzt. Da stecke man eben in der Zwickmühle: Das gequälte tote Tier zu tragen, ist genauso falsch, wie es auf den Müll zu werfen.

Ginge es der Ausstellung nur darum, könnte man sie sich auch sparen. Man muss heute schon gewaltige Anstrengungen aufbringen, um noch zu übersehen, welches Elend hinter billiger Kleidung und teurer Elek­tronik steckt. Dass man widerspruchsfrei nicht rauskommt aus der Nummer, weiß jeder, der noch über einen Funken Empathie verfügt und trotzdem mal einkaufen war.

Aber Šejla Kamerić hat mehr zu sagen. Und das gelingt ihr erstaunlicherweise, gerade indem sie das altbekannte Problem auf den ersten Blick noch simpler zuspitzt: Gleich im ersten Raum hängen Seidentücher auf Edelstahlständern, bedruckt mit zunächst ungegenständlich wirkenden Mustern, die sich bei näherer Betrachtung jedoch als Fotos erweisen. Behelmte Arbeiter in Schutzkleidung, Näherinnen und so weiter, die irgendwo in Asien Dinge herstellen. Zufallsfunde aus dem Internet, die eine körperliche Arbeit zeigen, die hierzulande ins Unsichtbare abgeschoben wurde.

Auf dem schmückenden Tuch sind sie wieder da: die Verdammten dieser Erde einmal durchs Kaleidoskop gejagt, damit sich aus der Ferne als Ornament tarnen können. Die Tücher kann man hier aus der Ausstellung heraus tatsächlich für ein paar hundert Euro kaufen. Das Aufregende ist nun, dass es vielleicht tatsächlich jemand macht.

Heute interessant ist nicht der Widerspruch, sondern der Umgang damit. Und der reicht vom demonstrative Egalsein, das sich im Witz darüber äußert, wie viele Sorten Tier man beim Grillfest auf einen Teller bekommt, bis zum flotten Spruch über die Kinderhände, die am eigenen Smartphone rumgeschraubt haben. Und es ist ja auch nicht so, als würde keiner mehr Pelze kaufen. Die Debatte selbst eröffnet einem heute die Chance, noch über ihr zu stehen – es als Leistung zu begreifen, etwas nicht verstanden zu haben.

Vermeintlich ungegenständliche Muster erweisen sich bei näherer Betrachtung als Fotos

Da wird es interessant: Wo man Widersprüche eben nicht im Stillen aushält, sondern sie offen zur Schau stellt. Dass Kamerić diesen zynischen Diskurs unter einer feministischen Fragestellung führt, macht die Sache noch interessanter. Denn wer trägt denn solche Seidentücher, wer stellt sie her?

Verblüffend ist, wie stimmig diese Fragen in der Konfrontation von Šejla Kamerićs aktuellen mit ihren älteren Arbeiten vertieft wird. „Keep Away From Fire“ ist ihre erste Einzelausstellung in Deutschland, international hat sie aber seit Jahren ein produktives und erfolgreiches Werk entwickelt.

Insbesondere ihre (Selbst-)porträts sind zwar bereits feministisch fundiert, haben aber nur am Rande mit der Frage nach Produktionsbedingungen zu tun. Diese intimen frühen Arbeiten schauen hier nun Raum für Raum auf die neuen – und schaffen da eine tatsächlich enorme Spannung.

Zuletzt betrifft das eben auch die Möglichkeit von Kritik: Wem hilft es denn, Missstände – allein schon dieses Wort! – aufzuzeigen, wenn selbst da noch wer Profit rausschlägt? Und das ist keine rhetorische Frage, sondern eine, über die man beim Gang durch die Ausstellung neu ins Denken kommen kann. Und das ist mindestens ein Anfang.

Tägl. außer Mo., 11 bis 18, Do bis 20 Uhr, GAK, Teerhof 21. Bis 26. 8.