Streit um Presseähnlichkeit: Die große Einigung

Verleger und öffentlich-rechtliche Sender beenden den jahrelangen Streit über Angebote im Netz – und gründen eine Schlichtungsstelle.

Gruppenfoto Politiker*innen und Medienvertreter, alle lachen und sehen gelöst aus.

Wie sie sich freuen! V. l. n. r.: Mathias Döpfner, Rainer Haseloff, Malu Dreyer, Ulrich Wilhelm, Thomas Bellut, Stefan Raue Foto: dpa

Die Wörter „Staatsfunk“ und „Nordkorea“ will Mathias Döpfner zu den Akten legen. Mehrfach hat der Springer-Vorstand zuletzt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit diesen Vokabeln beschrieben – im Streit um die Frage, ob die Onlineangebote von ARD, ZDF und Deutschlandradio den Zeitungen die Nutzer*innen wegnehmen. Jahrelang hat Döpfner als Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) diesen Streit gegen die Sender, vor allem gegen die ARD, geführt. Am Donnerstag haben beide Parteien nun verkündet: Wir sind uns einig.

In den Rundfunkstaatsvertrag wird aufgenommen, dass öffentlich-rechtliche Onlineangebote – also Websites und Apps – nicht so aussehen dürfen wie die Angebote von Verlagen im selben Medium. Dabei verzichtet man auf konkrete Vorschriften.

„Der jahrelange Streit um Buchstaben ist durch ein konstruktives Miteinander abgelöst worden“, sagte die Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder, Malu Dreyer (SPD), bei der Vorstellung des Änderungsvertrags am Donnerstag in Berlin. Seit Jahren zankt sich der BDZV mit einzelnen Sendeanstalten, teils vor Gericht, über Apps und Websites und deren Textgehalt. Es ging los mit dem Gerichtsstreit 2011 über die „Tagesschau“-App. Den BDZV störte, dass die Sender mit Rundfunkbeiträgen ein ähnliches Produkt anbieten wie die Presse. Deshalb, sagt Döpfner, könnten die Verlage nicht mehr Onlineabos verkaufen.

Was in den Welt der Medienpolitik jetzt als gewaltiger Durchbruch gefeiert wird, erscheint aus der Sicht von Leser*innen und Zuschauer*innen eher kleinlich. Dennoch: Dass der jahrelange Streit beigelegt ist, ermöglicht den Blick auf wichtigere Fragen in Sachen Zukunft des Rundfunks.

Die Länder machten Druck

Die Ministerpräsident*innen hatten darauf gedrängt, den Streit endlich beizulegen. Die Landeschef*innen, die zusammen die Rundfunkkommission der Länder bilden, wollten schon Anfang des Jahres eine Änderung des Rundfunkstaatsvertrags aufsetzen, in der eine Einigung festgeschrieben werden sollte. Das scheiterte daran, dass die Parteien sich nicht annäherten. Im Gegenteil, der NDR legte noch im Januar Verfassungsbeschwerde ein gegen eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Sachen „Tagesschau“-App. Diese wird jetzt trotz Einigung erst einmal weitergeprüft, weil eine Verfassungsbeschwerde nicht einfach wieder zurückgezogen werden kann.

Genaue Vorschriften, wie die Webangebote von ARD, ZDF und Deutschlandfunk in Zukunft aussehen dürfen, gibt es nicht. Einigermaßen schwammig heißt es im Änderungsvertrag: Telemedien „sind im Schwerpunkt mittels Bewegtbild und Ton zu gestalten, wobei Text nicht im Vordergrund stehen darf“. Eindeutige Regeln, wie sie bereits angedacht waren – zum Beispiel, dass Senderangebote zu maximal einem Drittel aus Text bestehen dürfen –, seien „formalistisch und nicht lebensnah“, sagte Döpfner. Die friedensseligen Verhandler*innen wollen sich „im Geiste“ einig sein, was gemeint ist: Die Nutzer*in soll auf den ersten Blick erkennen können, ob die aufgerufene Website oder App von einem Rundfunksender oder einem Verlag kommt. Für den Fall, dass sie einmal nicht einig sind, sieht der neue Rundfunkstaatsvertrag eine Schlichtungsstelle vor.

Websites und Apps dürfen nicht mehr so aussehen wie die Angebote von Verlagen. Konkrete Kriterien dafür gibt es nicht

Ominöse „Schlichtungsstelle“

Wie genau diese Stelle aussehen wird, ist noch nicht ganz klar. Fürs Erste haben sich Döpfner und ARD-Chef Ulrich Wilhelm gemeldet. Hinzu komme im Ernstfall „eine externe Person, die das Vertrauen beider Seiten genießt“, konkretisiert BR-Justiziar Albrecht Hesse. Das Ziel: Man will sich nicht mehr vor Gericht streiten, sondern über eine kurze Leitung.

Auf Kritik stößt die Einrichtung der Schiedsstelle bei der medienpolitischen Sprecherin der Grünen im Bundestag, ­Tabea Rößner. „Es kann nicht sein, dass es eine Schiedsstelle von Pressevertretern gibt, die über die Ausführung des öffentlich-rechtlichen Auftrags entscheiden“, sagte Rößner gegenüber der taz. Die Grünen-Politikerin befürchtet, dass die Privatwirtschaft in Form der Verleger auf diese Weise ihren Einfluss auf den verfassungsmäßig garantierten Rundfunk vergrößert. „Das halte ich für ein ganz falsches Signal, das die Öffentlich-Rechtlichen schwächt.“

Die befriedeten Streitparteien hingegen konnten gar nicht genug betonen, wie einig man sich plötzlich sei. „Wir haben festgestellt, dass der Gegner woanders steht“, sagte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU). Es geht darum, Google und Netflix etwas entgegensetzen zu können, aber auch Plattformen mit fragwürdiger journalistischer Qualität.

Man muss nicht der Meinung sein, dass die „Presseähnlichkeit“ von tagesschau.de das Grundübel ist, das die Verlage davon abhält, digital erfolgreich zu sein. Man kann sich aber freuen, dass der Streit nun beigelegt ist – alleine, weil damit möglicherweise größere Themen angegangen werden können. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ringt um Legitimation. Fast überall in Europa wird er von rechten Parteien und Bewegungen infrage gestellt. Der Rundfunkbeitrag ist unbeliebt wie eh und je. Und nicht zuletzt erreichen ARD, ZDF und Deutschlandfunk immer noch zu wenige Zuschauer*innen in den jüngeren, netzaffinen Altersgruppen. Jetzt, da geklärt ist, dass die Sender im Netz nicht auf längere Texte werden verzichten müssen – was zum Beispiel grundlegend ist, um von Suchmaschinen gefunden zu werden –, können neue Angebote für die Zukunft erdacht werden. Wobei nicht vergessen werden darf, dass die Sender nach wie vor sparen müssen.

„Indexierungs“-Streit hält an

Keine Klärung gab es diese Woche indes zu einem anderen Zukunftsthema, bei dem dieses Mal nicht Presse und Rundfunk, sondern die Länder untereinander streiten: die Frage, wer über die Höhe des Rundfunkbeitrags bestimmt. Für die Sitzung der Rundfunkkommission am Mittwoch hatten sechs Bundesländer kurzfristig einen recht radikalen Vorschlag eingereicht: Der Rundfunkbeitrag wird an die Inflation gekoppelt, er steigt einfach mit den Preisen. Das Prinzip heißt „Indexierung“, der Vorschlag kommt von Bayern, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Thüringen, Hamburg und Sachsen. Die Länder wollen außerdem, dass die Sender über ihre Budgets relativ frei entscheiden, statt wie bisher alle vier Jahre jeden Einzelposten in einem komplizierten Verfahren zu beantragen.

Vor den Kopf gestoßen war dadurch das Land Rheinland-Pfalz, das traditionell der Rundfunkkommission vorsitzt. Das Land reichte umgehend einen Gegenvorschlag ein, der vorsieht, beim gegenwärtigen System zu bleiben. Man habe sich am Mittwoch nicht einigen können, sagte Kommissionsvorsitzende Dreyer nun, das Thema solle aber bis Ende des Jahres abgeschlossen sein.

Würde der Rundfunkbeitrag indexiert, dann müssten die Ministerpräsident*innen nicht mehr alle vier Jahre einstimmig entscheiden, wie hoch der Beitrag angesetzt wird – eine Rechenformel würde das für sie erledigen. Allerdings müsste auch die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF), die im Moment über eine angemessene Höhe des Beitrags befindet, umgewidmet oder abgeschafft werden. Abgewogen wird dabei eine Vereinfachung des Systems gegen die verfassungsmäßig garantierte Kon­trol­le des öffentlich-rechtlichen Auftrags.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.