Erdoğan zerschlägt Traditions-Unis

Der türkische Präsident gründet 20 neue Universitäten – trotz der Proteste von Studierenden und Professor*innen

Von Aysel Sağır

Selbst regierungsnahe Akademiker*innen konnten Recep Tayyip Erdoğan nicht mehr umstimmen: Die Teilung traditionsreicher türkischer Universitäten, die der türkische Präsident lange geplant und Mitte Mai mit seiner Unterschrift besiegelt hatte, ist nun unumstößlich.

Der Gesetzesentwurf, den zuvor das ­türkische Parlament abgenickt hat, sieht die Gründung 20 neuer Universitäten vor. Verschiedene Fakultäten, unter anderem die alteingesessene Universität Istanbul oder die Gazi-Universität in Ankara werden den neuen Hochschulen zugeordnet und ihre Namen ausgetauscht. Damit erhöht sich die Zahl der türkischen Universitäten auf 128, mehr als die Hälfte sind privat.

Die Zerschlagung traditionsreicher Universitäten stößt an den betroffenen Hochschulen auf wenig Zustimmung: „Bis jetzt habe ich nur von dem Präsidenten des Hochschulrats gehört, dass er die neue Regelung gut findet“, sagt Görkem Doğan, Politologe an der Universität Istanbul. Selbst Kolleg*innen, die die Arbeit der Regierung bisher unterstützten, seien gegen den Gesetzesentwurf gewesen. Aber auch deren Einwände und Treffen mit Staatschef Erdoğan hätten, so Doğan, nichts bewirkt.

Viele sehen in der neuen Vorgabe der Regierung eine politische Entscheidung. Vor allem die Universität Istanbul hat seit der Ausrufung der türkischen Republik im Jahr 1923 eine gewisse Widerstandstradition.

Aber auch an der Gazi-Universität in Ankara kam es immer wieder zu regierungskritischen Protesten von Studierenden und auch von Dozent*innen: Wegen der Entlassung und Verfolgung Tausender Akademiker*innen per Notstandsdekret, nur weil sich diese gegen den Krieg der Regierung gegen die Kurden im eigenen Land ausgesprochen hatten. Wegen der Absetzung nichtkonformer Hochschulleitungen nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016. Wegen der Militärintervention der Türkei im nordsyrischen Afrin Anfang des Jahres. Oder eben jüngst wegen des Gesetzesentwurfes zur Teilung der Hochschulen.

Im April organisierten Studierende in Ankara und Istanbul an ihren jeweiligen Unis dagegen Proteste. In den sozialen Netzwerken posteten Studierende die Aufforderung: „Finger weg von meiner Fakultät!“ (Fakülteme Dokunma!).

Pınar Saip, Lehrbeauftragte der Universität Istanbul, warnt vor der Tragweite dieser jüngsten Intervention. Ihre Hochschule, die renommierteste Hochschule der Türkei, wird nun mitsamt ihrer 80.000 Studierenden der neu gegründeten Ibni-Sina-Universität angeschlossenen. „Historisch wichtige Universitäten gehen verloren“, regt sich Saip auf. Die Entscheidung, die alteingesessenen Universitäten zu schwächen, sei „von ganz oben getroffen worden“. Und sie war bereits vor zwei Jahren gefallen, sagt Saip. Die Rektoren und Dekane der betroffenen Universitäten seien im Vorfeld nicht informiert worden.

Yekta T. studiert im vierten Jahr an der Medizinischen Fakultät und glaubt, dass die Tradition des Widerstands mit der Zusammenführung komplett verschwinden wird. „Dieser Gesetzesentwurf ist für die Existenz der Universität eine ernsthafte Bedrohung. Dieser Entwurf will uns unsere Vergangenheit und unsere Zukunft nehmen“, sagt Yekta T.

Die Regierung hat als Grund für die Trennung die hohen Studierendenzahlen erwähnt – vergleicht man die jedoch mit den Zahlen anderer Universitäten weltweit, verliert dieses Argument an Gewicht. „Zum Beispiel die Unis in Rom, London oder Wien, die haben allem mehr als 90.000 Studierende.

„Wichtiger als die Größe einer Universität ist doch die Qualität der Lehre“, sagt Professorin Pınar Saip. So sehr Erdoğan die Demonstranten der Istanbul-, Gazi- und auch der Inönü-Universität in der anatolischen Stadt Malatya beschuldigt, eine politische Agenda zu verfolgen, umso eher werde deutlich, dass er Institutionen schaffen möchte, die ihm huldigen, meint Pınar Saip. Dementsprechend sind auch die universitätseigenen wertvollen Immobilien in Gefahr.

Pınar Saip fürchtet, dass die Zerschlagung der Universitäten erst begonnen hat. „Das, was heute mit diesen Universitäten geschieht, kann morgen die Technische Universität in Istanbul oder die Universität in Ankara treffen. Es wird keine starken Hochschulen mehr geben.“