WM-Spielort Sotschi: Alles da fürs Business

Für Russen ist Sotschi ein Badeort, für Fußballfans eine geschlossene Kommerzwelt. Umweltschützer haben zu kämpfen.

Junge Männer springen am Strand von Sotschi ins Wasser. Im Hintergrund befindet sich das WM-Stadion.

Nichts erinnert hier noch an die Olympischen Winterspiele: Sotschi während der Fußball-WM Foto: dpa

SOTSCHI taz | Wie es eben so ist in einem Badeort. Männer mit aufgepumpten Oberarmen stolzieren viel zu stolz über die Promenade von Sotschi. Wenn sie eine Stange sehen, an der sie Klimmzüge machen können, lassen sie sich nicht zweimal bitten. Frauen mit viel zu dicken Lippen und Brüsten, denen die Schwerkraft wegoperiert wurde, schieben ihre Körper nicht minder stolz am Meer entlang. Die Luft riecht nach Grillwaren. Alle 50 Meter kann man Schaschlik kaufen. Die Musik hört sich nach Plastik an, meistens ist sie zu laut. Nur Männergruppen in Fußballshirts sind manchmal lauter.

Das Rauschen des Schwarzen Meeres jedenfalls ist nicht zu hören am Strand von Adler, jenem Stadtteil, der vor Winterolympia 2018 für den Sport planiert worden war. Die Fußball-WM ist in die Stadt gekommen. Fans machen den nicht allzu zahlreichen russischen Frühsommerfrischlern ein wenig Platz an der Uferpromenade streitig. Man stört sich gegenseitig nicht. Die Urlauber machen Fotos mit dem Meer im Hintergrund. Die Fans aber wollen sich vor dem Stadion fotografieren lassen.

Die Fischt-Arena steht beinahe direkt am Wasser. Es ist das wuchtige Gebäude des Olympiaparks von Sotschi. Der besteht vor allem aus einer riesigen asphaltierten Fläche, auf die an diesem Tag gnadenlos die Sonne brennt. Man kann sich mit einem Golfcart durch den Park chauffieren und sich zeigen lassen, wer 2014 in welcher Halle zu olympischem Ruhm gekommen hat. Fast niemand nimmt das Angebot wahr.

Olympia ist Vergangenheit. Eine Gegenwart hat der Olympiapark nur einmal im Jahr, wenn die Formel eins zu Gast ist. In einer der Hallen wird regelmäßig Eishockey gespielt, trainieren Eiskunstläuferinnen. Und sonst? „Keine dieser Hallen wird gebraucht“, sagt Vladimir Kimajew. Er ist Mitglied einer NGO, die sich Ökowacht Nordkaukasus nennt, und hat die Betonierung Sotschis und vor allem das Planieren der Berge für den Wintersport von Anfang an kritisch begleitet. Ob Olympia der Stadt etwas gebracht hat? „Wie gefällt Ihnen Sotschi?“, fragt der drahtige Ex-Militär zurück. „Sie sagen, Sotschi ist ein Kurort“, fährt er fort und redet über das irre Bevölkerungswachstum in der Stadt, die Nobelherbergen für Gäste und die nicht minder noblen Apartmenthäuser für die Neureichen, die zugezogen sind. 500.000 Menschen wohnen im Großraum Sotschi heute, beinahe 100.000 mehr als vor zehn Jahren. „Sotschi ist kein Kurort, es ist eher eine riesige Business-Lounge“, sagt er.

Gemeinsam mit Julia Nebereschnaja, die als Ökologin für die Weltnaturschutz­union IUCN arbeitet, tut er alles dafür, dass der Ausbau des Wintersports nicht auf Kosten des vor den Spielen ausgehandelten Naturschutzdeals geht. Nachdem man damals gesehen hatte, wie der Beton sich in die Berge frisst, wurde so etwas wie ein Vertrag mit der Natur geschlossen: Für Olympia darf gebaut werden, dafür werden riesige Gebiete rund um die Olympiastätten unter besonderen Schutz gestellt.

Dieser Deal ist nun in Gefahr. Das Skigebiet Rosa Chutor und das Gazprom Ski Resort sollen zu einer Skischaukel zusammengeführt werden. Kimajew und Nabereschnaja haben sich aufgemacht, zu dokumentieren, dass schon erste Baumaßnahmen laufen. Dabei müssen sie damit rechnen, dass sie geschlagen und verjagt werden, dass man ihnen das Bildmaterial abnimmt. Julia Nabereschnaja will erreichen, dass der nacholympische Raubbau verhandelt wird, wenn das Weltkulturerbe-Komitee der Unesco nächste Woche tagt. Der Verlust des Welterbe-Status für den Westkaukasus steht im Raum.

Dabei, sagt Kimajew, werde das Skigebiet nicht wirklich genutzt. Der Ausbau ist zum Selbstzweck geworden für die daran beteiligten Oligarchen. Es ist dies der übliche Deal, der sich schon bei der Errichtung der olympischen Wettkampfstätten bewährt hat. Die beauftragten Firmen verschulden sich bei staatlichen Banken, bauen, sagen hinterher, dass sich das Geschäft nicht lohne, beantragen die Löschung der Schulden und können die Millionen, die sie von Anfang an zu viel berechnet haben, auf ihren Konten verbuchen.

Was wie Fußball aussieht, lässt Fans lächeln

Die Fans, die in der Stadt unterwegs sind, werden vom Gazprom Ski Resort noch nie etwas gehört haben. Gazprom kennen sie. Das Logo des Fifa-Großsponsors ist allgegenwärtig. Was sollten sie dagegen haben? Alles, was irgendwie wie ein Fußball aussieht, zaubert ihnen ein Lächeln ins Gesicht. Manchmal posieren sie an einem dieser riesigen kugelrunden Blumenkübel, die wie Fußbälle angepinselt sind, zum Gruppenselfie. Drollige Leute sind da unterwegs, aus Spanien, aus Portugal, ein Paar aus Panama ist auch schon da und viele Chinesinnen in Cristiano-Ronaldo-Trikots. Ums Stadion herum und drinnen sowieso fühlen sie sich pudelwohl. Cola, Pizza oder Burger. Nichts wird serviert, was man nicht kennen würde.

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Zwei Chinesen schaffen es herauszufinden, dass der Bus in die Innenstadt nicht an dem Haltestellenhäuschen hält, an dem noch der Olympiafahrplan hängt, sondern am Ende der Straße. Der Bus hat 16 Sitzplätze und ist mit 35 Passagieren sehr gut gefüllt. Er steht eineinhalb Stunden im Stau nach Sotschi City. Ein Bürger erklärt stolz, was zu sehen ist. Auf die Frage, ob man nicht bei all dem Geld für die WM auch in den öffentlichen Nahverkehr hätte investieren können, antwortet er mit einem beliebten Witz im Russland dieser Tage: „Alles nicht so schlimm. Dafür gehört uns die Krim wieder.“

Den Unzulänglichkeiten des Alltags mit dem ganz großen russischen Aufbruch in die Sport- und Weltpolitik zu begegnen, das ist die Methode Putin. So sehr sich die Menschen freuen über die WM-Touristen, so oft sie kostümierten Fans ihr Kind für ein Foto zuschieben, so peinlich berührt sind sie, wenn man in ihren harten Alltag eintaucht. Die Ausländer sollen das nicht sehen.

In Sotschi spielen: Belgien – Panama (heute, 17 Uhr), am 23. 6. Deutschland – Schweden und am 26. 6. Australien – Peru. Außerdem findet hier ein Achtel- und ein Viertelfinale statt

Die sollen in den Yachthafen gehen, an den noblen Boutiquen entlangflanieren, darüber staunen, wie viele Luxuslimousinen in der Stadt unterwegs sind, und spekulieren, ob die dicken Uhren an den Armen schicker Russen wirklich so teuer sind, wie sie aussehen. Und wenn sie einen Kaffee trinken wollen, dann sollen sie das in einer dieser vielen Buden tun, die so aussehen, als stünden sie in New York oder Berlin, in Läden an deren Tür steht: „Let’s talk about Coffee!“ In Sotschis Innenstadt ist es für die Fans wie in der Fifa-Welt. Man kennt sich aus.

Im Stadion von Sotschi liefern sich Spanien und Portugal ein wirklich heißes Match. „Rossija! Rossija!“, schallt es nach gut einer Stunde Spielzeit durchs Stadion. Es ist ein Spiel, das man herzeigen kann. Man ist stolz, dass Russland das ermöglicht hat.

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