Kühne Schwünge aus Beton

Grindelhochhäuser, Großmarkthalle und Audimax: Bernhard Hermkes’Bauten prägen das Hamburger Stadtbild. Jetzt widmet sich ein Buch erstmals umfassend seiner Architektur

Tiefe Dach-Täler, markante Fassade: Hermkes’ Großmarkthalle Foto: Ernst Scheel, © Petra Vorreiter

Von Alexander Diehl

Es passt bestens in die Zeit. Schon, weil ja Jubiläum ist: das 50-jährige von 1968. Und wer von 1968 spricht, zumindest hierzulande, der spricht, auch ohne es zu wissen, vom Auditorium Maximum der Hamburger Universität: Dort trugen – wenn auch schon im November 1967 – die Jura-Studenten Albers und Behlmer jenes heute im örtlichen Staatsarchiv verwahrte Transparent vor altem und neuem Uni-Rektor her: „Unter den Talaren“, stand da drauf – „Muff von 1.000 Jahren“.

Der große Saal sei damals restlos gefüllt gewesen, heißt es oft, und das war er nicht selten. Denn nicht nur beherbergte das muschelartige Gebäude den größten Hörsaal der vergleichsweise jungen Hochschule – bei Bedarf zu teilen durch eine versenkbare, schalldichte Zwischenwand; es war auch Schauplatz etwa von Rockkonzerten oder Kinoveranstaltungen; bis heute kursieren allerlei ulkige Anekdoten, in welch abgeranzten Backstagebereichen sich da echte Weltstars haben umziehen müssen.

So wie die Kaufmannsstadt sich ihre Uni nicht auf irgendeine grüne Wiese gesetzt hatte, sondern in Sichtweite des Dammtorbahnhofs, also denkbar zentral, sollte auch das 1959 eingeweihte Audimax Teil und Ort des städtischen Lebens sein, am stärksten verdeutlicht vielleicht durch die spektakuläre Glasfassade. Heute, in etlichen Details verändert, ist es vielleicht die markanteste Spur, die der Architekt und Wahlhamburger Bernhard Hermkes in der Stadt hinterlassen hat.

An den Grindelhochhäusern für die britischen Besatzungsoffiziere, nördlich des Universitätscampus, hat er mitgearbeitet; er hat Doppelhaussiedlungen im Hamburger Westen gestaltet, in denen er selbst jahrzehntelang wohnte; und mit der Kennedybrücke zwischen Außen- und Binnenalster, wiederum nahe des kleineren der Hamburger Bahnhöfe, hat er eine bis heute enorm wichtige Brücke gestaltet, deren Schönheit den allermeisten ihrer Nutzer aber verborgen bleibt.

Von einem dagegen kaum zu übersehenden Gebäude Hermkes’berichtete Ende April, im Audimax-Foyer, Giacomo Calandra di Roccolino, Autor der ersten wirklich gründlichen Befassung mit dem Architekten: Mit dem Zug sei er einmal von Süden her nach Hamburg hinein gerollt, und das offenbar mit kaum mehr als Schrittgeschwindigkeit. Und da lag sie, die Hermkes’sche Großmarkthalle für Obst und Gemüse, drei lange Halbröhren mit Dächern, geschwungen wie drei Wellen, mit bis zu zwölf Meter tiefen Tälern; Stahl, Beton und Glas und eine Verkleidung aus Granit.

Di Roccolino, selbst auch Architekt, beschreibt sie als eine Art Liebe auf den ersten Blick, diese Begegnung im Vorbeifahren. Gearbeitet hat er seitdem immer wieder über Hermkes. Und bietet am Sonntag eine – leider längst ausgebuchte – Radtour zu vier von Hermkes’„Meisterwerken“ an. Die Pflanzenschauhäuser im Alten Botanischen Garten, die hat Hermkes nämlich auch entworfen.

Wer war nun dieser Mann, der an so vielen Stellen in Vorkriegs-Berlin und Nachkriegs-Westdeutschland Bauten gestaltet hat, manche zweckmäßig, manche kühn?

... so haben Hamburgs Architekten- und Ingenieurkammern den „Tag der Architektur und Ingenieurbaukunst“ an diesem Wochenende überschrieben.

In Besichtigungen und Führungen soll zwei Tage lang „das zeitgenössische und historische Bauen in Hamburg“ vorgestellt werden. Teils tourt man per Fahrrad, viele der Führungen, auch die zu Bernhard Hermkes, waren lange vorher ausgebucht. Einiges im Programm (unter www.tda-hamburg.de) ist aber noch kurzfristig zugänglich.

Auch in Bremen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern wird an diesem Wochenende der – bundesweite – Tag der Architektur begangen (Programm auf www.tag-der-architektur.de). Einzige Ausnahme bildet Schleswig-Holstein: Weil dort eine Terminkollision mit der „Kieler Woche“ vermieden werden soll, feierten die Nordlichter ihr Gebautes schon am 9./10. Juni.

Geboren 1903 in Simmern im Hunsrück, studierte Hermkes ab 1921 in München, später in Berlin. 1924 unterbrach er das Studium bei Hans Poelzig, um ein Praktikum in Hamburg zu machen: beim dortigen Regierungsbaumeister Carl Gustav Bensel. Sein Diplom machte er 1926 in Stuttgart und trat im Anschluss eine Stelle im Hochbauamt in Frankfurt am Main an; hier gründete er 1927 sein erstes eigenes Büro.

Die große deutsche Zäsur des Jahres 1933, das vorläufige Ende von Republik und Demokratie zugunsten des nationalsozialistischen Führerstaats hinterlässt in Hermkes’Lebenslauf zunächst noch keine Spur: Er habe 1935 sein Büro schließen müssen – wegen Auftragsmangels, und bei genauerem Hinsehen wird offenbar, was man schon ahnt: Es waren gerade auch jüdische Kunden, deren Aufträge zunehmend ausblieben. Im Gegenzug verdiente er sich ausgerechnet dadurch die eine oder andere Mark, dass er umgewidmete großzügige Häuser vormals wohlhabender jüdischer Eigentümer teilen half.

Ja, er hat auch an kaum Unschuldigem mitgearbeitet: den Heinkel-Flugzeugwerken in Oranienburg, den Messer­schmitt-Werken in Regensburg und schließlich der MAN-Fertigung für U-Boot-Motoren im Hamburger Hafen. Gegen Kriegsende wurde er doch noch eingezogen, kam aber nicht mehr an die Front, sondern nur kurz in Kriegsgefangenenschaft. Nie Parteimitglied geworden, gab es offenbar auch nichts zu entnazifizieren, und so versicherten sich dann auch die Briten und später das nun wieder demokratische Hamburg, wo er bis zu seinem Tod 1992 lebte, Hermkes’Talenten. Auch wegen dieser so typischen, verwaschenen Vita passt es vielleicht, gerade heute an ihn zu erinnern.

Giacomo Calandra di Roccolino: „Bernhard Hermkes. Die Konstruktion der Form“, Dölling und Galitz 2018, 400 S., 500 Abb., 49,90 Euro