Tatort Herrenzimmer

Very british: Die Freilichtbühne Weißensee zeigt den einst in Weißensee produzierten Gothik-Grusel „Die Toten erwachen“

Nach dem Vorbild von Sherlock Holmes: Ernst Reicher als Detektiv Stuart Webbs Foto: Alexander Binder (1888–1929)

Von Andreas Hartmann

Filme von hier, Filme, die hier in den Studios in Weißensee entstanden sind, werden auf der Freilichtbühne Weißensee in einer unregelmäßig stattfindenden Reihe gezeigt. Da mit dem Ende der Stummfilmära auch die Studios Geschichte waren, handelt es sich hierbei ausschließlich um Stummfilme, die jedoch mit Klavierbegleitung aufgeführt werden. Und da man mehr bieten möchte, als immer nur „Das Cabinet des Dr. Caligari“, den berühmtesten Stummfilm aus Weißenseer Produktion, gräbt man eben auch mal tiefer in den Archiven. Viele Filme von damals gelten als verschollen oder sind nur noch in schlechtem Zustand erhalten, doch von Adolf Gärtners Film „Die Toten erwachen“ aus dem Jahr 1915 liegt eine ziemlich brauchbare Kopie vor und somit zeigt man diesen heute weitgehend vergessenen Film, der aber durchaus seinen Reiz hat, noch einmal.

Der Film ist Teil einer ganzen Serie von Produktionen, die damals rund um die Figur des Detektiv Stuart Webbs entstanden sind, die meisten davon in Weißensee. Von 1913 bis Ende der Zwanziger Jahre war die Stuart-Webbs-Reihe wohl das, was heute der „Tatort“ ist: eine ungemein beliebte Krimiserie. Während man im Ersten Weltkrieg gegen England in den Schützengräben lag, wurde damit in Deutschland ausgerechnet eine Figur populär, die sich nur jemand mit besonders anglophilen Tendenzen ausgedacht haben kann. Stuart Webbs großes Vorbild ist schließlich eindeutig Sherlock Holmes, der englische Superdetektiv, der auch den kniffligsten Fall mit reiner Logik zu lösen weiß. Und einigermaßen exzentrisch ist dieser Webbs auch. In Adolf Gärtners „Die Toten erwachen“ stolziert dieser eigentlich die meiste Zeit wie ein Galan im Urlaub in blütenweißer Kluft umher, schreckt dann aber auch nicht vor kuriosen Verkleidungstricks zurück, um seinen komplizierten Fall zu lösen. Stuart Webbs, der stets von Ernst Reicher verkörpert wurde, ist ein sportlicher, gutaussehender Heldentyp, der aber allein schon durch seinen stets bestechenden Scharfsinn immer auch ein wenig schrullig wirkt, fast schon selbstironisch und auch dadurch nicht besonders deutsch.

In „Die Toten erwachen“ hat er einen besonders undurchsichtigen Fall zu lösen. Ein Adliger hat in seinem Herrenzimmer Selbstmord begangen und er ist nicht der erste seines Geschlechts, der in der letzten Zeit umgekommen ist. Seine Witwe wittert eine Verschwörung, hat Angst um ihr Leben und das ihres Sohnes, und wendet sich deswegen an Meisterdetektiv Webbs. Der also macht sich auf zum Adelssitz , findet schnell heraus, dass der Selbstmord ein Mord gewesen sein muss und schon steckt man mittendrin in einem klassischen Whodunit.

Bemerkenswert sind dabei die ganzen Gothic- und Schauerelemente in dieser vordergründig klassischen Detektivgeschichte, die man neben dem Typus der Hauptfigur gleich mit aus der frühen Tradition des englischen Films importiert hat. Falltüren öffnen sich, unterirdische Gänge werden entdeckt und dann erwachen irgendwann auch noch tatsächlich die Toten zum Leben. Nichts ist wie es scheint, hinter jeder Wahrheit steckt noch eine andere – es macht tatsächlich Spaß, sich gemeinsam mit Superspürnase Webbs durch den Kamin zu zwängen und jeden einzelnen der Bediensteten genauer unter die Lupe zu nehmen, um der Lösung des Falls Schritt für Schritt näher zu kommen.

Ob sich Adolf Gärtners Film aus psychologischer Sicht als Kommentar zur Zeit deuten lässt, wie das Siegrid Kracauer in seiner Studie „Von Caligari zu Hitler“ an Beispielen deutscher Stummfilme aus der Zeit tat, sei mal dahingestellt. Webbs bewegt sich in einer Welt der Täuschungen, wer Freund, wer Feind ist, wer gut und wer böse, ist nicht so leicht zu durchschauen, was sich bestimmt auch auf das verworrene Kriegsgreuel auf Europas Schlachtfeldern beziehen ließe. Doch wie bewusst Gärtner auf derartige Analogien setzte, ist eine ganz andere Frage.

Es gibt nur wenige Außenaufnahmen in diesem Film, der die meiste Zeit in den prunkvoll ausgestatteten Gemächern der Adelsfamilie und deren Katakomben spielt. Doch einmal geht es raus an einen See, als Stuart Webbs von einer geheimnisvollen Gestalt verfolgt wird. Es kommt zu dramatischen Szenen an einem Bootssteg und man ist schon versucht, erkennen zu wollen, wo genau am Weißensee man sich in dieser Szene vor mehr als hundert Jahren befunden haben könnte. Doch vergebens: Die Seeszene, sie ist nicht hier, sondern in Bad Saarow gedreht worden.

„Die Toten erwachen“: Regie: Adolf Gärtner, Freilichtbühne Weißensee, Große Seestraße 9–10, 29. 6., Ab 21.45 Uhr, mit Klavierbegleitung, Tickets 9 €, www.freilichtbuehne-Weißensee.de