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Die Arbeit an dem, was Identität ist

Die aktuellen Debatten in der LGBTQI-Community drehen sich oft um Fragen des Rechts auf Selbstbestimmung von Körper und Identität. Diese Suche ist aber ein lebenslanger Prozess, der nie abgeschlossen ist

Jede*r hat das Recht, die eigene Geschlechtlichkeit zur Geltung zu bringen Fotos: Björn Kietzmann

Von Jan Feddersen

Jeder Mann, der ein schwuler Mann wurde, kennt ein Gefühl sehr genau. Es mag gleichgeschlechtlich begehrende Exemplare männlicher Art geben, die diese innere Welt nicht in sich trugen, aber diese sind Ausnahmen. Es ist das Empfinden eines Jungen, der dieser Mann mal war, als er in der Pubertät steckte. Als der eigene Körper das Kindliche hinter sich ließ und zum Erwachsenen werden sollte. Gefühle, dass das eigene Mannsein nicht stimmen konnte.

Denn wer einen Mann sexuell begehrt, der kann doch kein Mann sein. Wer einen Körper, der einen Penis trägt, sexuell mehr als nur erotisierend findet, der müsste doch, dieser Logik zufolge, eine Frau sein. Ein Mann hat einen anderen Mann zum Kumpel, besten- wie schönstenfalls – aber nicht als ein Gegenüber voll sexueller ­Attraktivität.

Das aber genau ist das wichtigste Identitätsproblem von Menschen, die ins klassische Mann-Frau-, besser: Mutter-Vater-Schema nicht hineinpassen. Ein Junge, der anders ist als die meisten anderen Jungs, ein Mädchen, das anders ist als die anderen: Sie haben zu verarbeiten, dass das Geschlecht, das ihnen eigen ist, von ihnen selbst umcodiert werden muss. Denn, so lernen sie, ein Junge kann einen anderen Jungen oder einen Mann attraktiv finden, ohne als Mann an Statur zu verlieren. Er (oder sie) ist schwul (lesbisch) nach dem Coming-out, kein Nichtmann (keine Nichtfrau), weil ihm (ihr) die Frau (der Mann) als Objekt des Begehrens gleichgültig ist.

Die Identitätssuche (und die Neuverankerung des Selbstgefühls als Mann oder als Frau) ist ein Prozess, ein psychisches Re-Booting – ein lebenslanger Prozess. Das heteronormative Muster gerade in den Liebesdingen ist nach wie vor übermächtig. Sich den Klischees zu widersetzen – Frage etwa ans schwule Paar: „Wer ist denn bei euch der Mann, wer die Frau?“, als ob nicht beide Männer wären – ist nicht irgendwann abgeschlossen, sondern, so sagen alle, ein Ding der eigenen Ewigkeit.

Identitätssuche und Identitätsfindung als schwuler Mann, als lesbische Frau, überhaupt als die Person, die man zu sein beansprucht, ist ein innerer, nicht notwendig körperlich sichtbar werdender Akt. Gleichwohl gibt es Menschen, die sich als im falschgeschlechtlichen Körper geboren empfinden. Als Mädchen geboren, aber sie fühlen sich als Jungs. Als Wesen, die lieber Fußball spielen als mit Puppen. Oder, umgekehrt, als Personen, die es als Qual empfinden, sich typisch jungshaft zu zeigen und sich mit anderen Jungs zu prügeln, und eher davon träumen, in einer Schulaufführung die Prinzessin zu spielen. Es sind Trans*personen, und warum sie existenziell darunter leiden, das Geschlecht zu haben, mit dem sie geboren wurden, ist wissenschaftlich in jeder Hinsicht unklar.

Im Sinne eines menschlichen Verständnisses von Identität, von dem, was ein selbst gewähltes Leben ist, müssen die Wünsche nach Geschlechtstransformation selbstverständlich ernst genommen werden. Jede*r hat, zumindest als erwachsene Person, da sind sich alle einig, das Recht, die eigene Geschlechtlichkeit zur Geltung zu bringen, und sei es eine als Trans*person.

Nur der Gesetzgeber holpert bei der Erfüllung seiner Aufgaben: Das Verfassungsgericht hat im vorigen Herbst geurteilt, es gebe nicht allein ein männliches und ein weibliches Geschlecht, es müsse auch die Möglichkeit eines anderen, nicht klassischen Geschlechts geben, etwa ein sogenanntes Drittes Geschlecht.

Stets im Sommer demonstriert die LGBTQI-Community mit bunten Straßenumzügen Selbstbewusstsein und Lebensfreude. Den Auftakt machte der Potsdamer Christopher Street Day (CSD) am 5. Mai, den Abschluss gibt’s am 8. September in Halle.

Ein Höhepunkt ist die ColognePride (8. 7.) – auch zahlenmäßig ist es die größte Veranstaltung in Deutschland. Unter dem Motto „Coming-out in Deinem Style“ wird bereits ab dem 23. Juni zwei Wochen lang gefeiert, u. a. mit einem CSD-Straßenfest (6.–8. 7.).

Auch in Berlin finden schon im Vorfeld Veranstaltungen statt, bevor am 28. 7. der Jubiläums-CSD unter dem Motto „Mein Körper – meine Identität – mein Leben!” steigt – zum 40. Mal seit 1979.

Alle CSD-Termine unter: www.csd-termine.de

Allein: Die Große Koalition hat hierzu wenig geplant. Um nicht zu sagen: Sie beabsichtigt zum Gesetz zu machen, dass wenigstens eine Leerstelle im Pass stehen bleiben kann. Aber eine Leerstelle ist in diesem Zusammenhang wie ein Makel: Es ist ja eine Stelle, die Leere besagt, nicht Gefülltsein – was klingt wie ein zu Füllendes, bis dahin Mangelhaftes. Von der Union, alles in allem, ist keine Hilfe zu erwarten: Identitätspolitisch beharrt sie darauf, dass es nur Männer gibt und Frauen. So wie früher. Keine, wie der legendäre Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld gesagt hätte, „Zwischenstufen“, keine Menschen, die der Unwürdigkeit entledigt werden, Mangelwesen zu sein.

Eine Identität zu haben ist keine Kunst, sie sich zu erobern, zu basteln, für sich selbst neu zu backen ist nichts, was heterosexuell orientierten Menschen nicht läge, wozu sie kein Talent hätten. Aber wesentlich leichter ist die Konstruktion einer neuen Identität für alle, die ohnehin aus der Matrix der Üblichkeit herausfallen.

Lesben und Schwule werden immer auch „Andere“ bleiben, niemals zu solchen werden, die ihre Eltern sind oder waren: Sie müssen anders denken lernen und tun dies auch. Sie sind Frauen, die Frauen begehren, oder Männer, die Männern im sexuellen Sinne mehr als nur zuneigen.