Abstoßend perfekt

Die Kestergesellschaft zeigt Fotos des US-Künstlers Christopher Williams, die auf den ersten Blick langweilig sind. Im Mittelpunkt aber steht die Veränderung von deren Bedeutung je nach Kontext

Fotos wie für Werbeflyer, erst der Kontext ihrer Präsentation liefert Stoff zum NachdenkenFoto: Raimund Zakowski

Von Radek Krolczyk

Elf der Idee nach funktionale, aber sperrige Stellwände stehen in der Kestergesellschaft in Hannover. Zehn von ihnen sind exakte Reproduktionen der ersten, die Dirk Ufermann, damaliger technischer Leiter des Bonner Kunstvereins, 2009 für eine Ausstellung des US-amerikanischen Fotografen und Konzeptkünstlers Christopher Williams entworfen hatte. Aus Sperrholz und Balken geschraubte Objekte mit Zwischenräumen sind das, die an Transportkisten erinnern, die für wertvolle und empfindliche Kunstwerke gebaut werden. „Normative Models“ nennt sie Williams.

Jede der Wände hat eine Geschichte, hat abgestoßene Kanten und Filzstiftmarkierungen. Die ganze Situation sieht nicht aus wie eine Ausstellung, erinnert eher an deren Auf- oder Abbau. Man kann sich die Holzbauten ansehen, sie vergleichen, aber das ist bald langweilig. Und diese Langeweile zwischen den Holzungeheuern scheint es zu sein, auf die es hier ankommt.

Denn dann beginnt man sich dafür zu interessieren, was hinter den Objekten steht, was im Hintergrund einer Ausstellung geschieht. Überraschend ist die Information, dass eine der Stellwände selbst auseinandergebaut und in Luftpolsterfolie verpackt aus der Züricher Galerie David Zwirner hergebracht wurde. Auch diese Stellwände sind also wertvolle Ware.

Mit der peniblen Liste technischer Daten und beschädigtem Ausstellungsmobiliar zeigt Williams etwas im Grunde Ödes und Hässliches: Die Wände verweigern das Schöne und Reizvolle, das die Kunst verspricht, und zwingen den Blick auf ihre funktionalen und trostlosen Grundbedingungen, die eben in der Arbeit stecken.

Gleichzeitig wird hier jemand wie der technische Leiter des Bonner Kunstvereins zu einer kunstbetrieblichen Größe. Und genau hier zeigt sich dann die linke Grundhaltung des 1956 in Los Angeles geborenen Künstlers, der in den 1970er-Jahren bei John Baldessari und Douglas Hüebler am California Institute of the Arts studierte: Berühmt geworden ist Williams vor allem als Fotograf – allerdings als einer, der zu den Vertretern einer zweiten Generation von Konzeptkünstlern gehört.

In der oberen Etage der Kestnergesellschaft kommen die Holzwände im Dienste seiner Fotos zum Einsatz. Dabei verhält es sich auch mit denen so wie mit den Wänden: Sie sind absolut trostlos und öde. An Williams Wänden sind sie zudem so angebracht, dass man sie gar nicht richtig ansehen kann: Alle gerahmten Bilder hängen ein Stück zu niedrig, manche am Rand, keines hängt optimal. Darüber hinaus konkurrieren die Fotografien mit der schroffen, unlackierten Oberfläche der Wände: Man sieht Schrauben, Übergänge und die Struktur der Platten. Als bloß funktionales Display sind die Stellwände ungeeignet.

Während sich die Wände erst als profan, dann als rätselhaft erweisen, wirken die Fotos in ihrer Perfektion abstoßend. Es sind Fotos, wie sie von Werbeagenturen angeboten werden, zur Illustration einer Firmenwebsite oder eines Werbeprospekts: ein kleines Mädchen in gelbem Kleid, leuchtend rote Äpfel oder ein Hahn.

Gerade vor dem rosa Gesicht des Kindes, das natürlich und spontan aussehen soll, kann man sich gruseln: Die Schminke ist deutlich zu erkennen und das vermeintlich freudige Lachen wird durch die Anspannung der Gesichtsmuskulatur kontrastiert. Das gelbe Kleid und die ebenfalls gelben Zopfbänder machen das Gesicht des Kindes endgültig zum Designobjekt.

Wie die Bedeutung solcher Bilder sich jedoch mit dem Kontext ändern kann, zeigt das Hahn-Foto. Gerahmt in der Ausstellung macht es skeptisch, in einer Tischvitrine wechselt es mit dem textlichen Kontext plötzlich die eigene Bedeutung: als Illustration eines Werbeflyers für einen Hühnerhof oder verbunden mit einem Aufsatz zum Surrealismus. Die Spannbreite des Bildes geht von flachem Kommerz bis zur tiefen Symbolik.

So universell kann eine Fotografie sein – so universell wie die Stellwände: Normative Modelle eben, der Titel der Ausstellung hält, was er verspricht.

bis 29. Juli, Kestnergesellschaft, Hannover

Der Autor ist Betreiber der Galerie K' in Bremen.