Vom Leben in Räumen, die weder Türen noch Decken haben

Der Film verlässt nie das Tempelhofer Feld: Karim Aïnouz‘ Langzeitbeobachtung „Zentralflughafen THF“ folgt den Schicksalen einzelner Migranten und den Leuten, die sich für sie engagieren

Dem medial verzerrten Bild arabischer Männer etwas entgegen­setzen: Der Film lässt seinen Protagonisten erzählen Foto: Piffl

Von Toby Ashraf

Zu sehen, wie das Wort „Hangar“ wie selbstverständlich zur Alltagssprache eines gerade vor dem Krieg nach Deutschland geflüchteten Kindes gehört, macht stutzig. Hangar kommt aus dem Französischen und kann ebenso einen Schuppen wie eine Lagerhalle bezeichnen.

Im Dokumentarfilm „Zentralflughafen THF“ von Karim Aïnouz bezeichnen die sieben Hangars des ehemaligen Berliner Stadtflughafens Tempelhof aber vor allem eine erste Heimat und vor allem die Ankunft in einem Land, in dem es keine Bomben hagelt, wo es keinen Krieg gibt.

Es scheint eine Ewigkeit her, dass der Berliner Bürgermeister Michael Müller die riesigen, sporadisch für Großevents und Filmdrehs genutzten Hallen Tempelhofs zur Massenunterkunft für geflüchtete Menschen erklärte. Tatsächlich sind gerade einmal etwas über zweieinhalb Jahre ins Land gegangen, in denen sich die Begrifflichkeiten und Bedeutungen für die Behausungen Geflüchteter jedoch dramatisch gewandelt haben. Von Heimen über „Tempohomes“ ist der Diskurs mittlerweile bei Anker- oder Transitzentren angekommen. Es geht schon lange nicht mehr darum, Menschen systematisch Schutz zu gewähren, sondern vielmehr darum, sie aus dem Land zu halten oder schneller abschieben zu können.

Der in Brasilien geborene Regisseur Karim Aïnouz wohnt in Berlin und sah die ersten Geflüchteten im Herbst 2015 in Tempelhof ankommen. 5.000 Menschen sollten dort damals Platz finden, 3.000 sind es zwischenzeitlich geworden, als klar wurde, dass Behörden und Ämter mit diesem Mammutprojekt überfordert waren. Aïnouz entschloss sich für ein filmisches Langzeitprojekt, das er, in Monatskapitel gegliedert, von seinem Protagonisten Ibrahim Al Hussein aus Syrien erzählen lässt.

Al Hussein lässt als Erzähler aus dem Off Bilder einer glücklichen Vergangenheit im Kopf entstehen und nimmt uns zu Beginn mit in das Dorf, aus dem er fliehen musste. Er erzählt von den über tausend Bäumen, dem Bauernhof seiner Familie, aber auch von der verblassenden Erinnerung daran. Seinen 19. Geburtstag verbringt Al Hussein allein in den Hangars. Aus den geplanten sechs Monaten in den Steinhallen Tempelhofs sollen anderthalb Jahre werden.

„Zentralflughafen THF“ interessiert sich für Geschichten wie seine, aber auch für die Arbeit der Ärzt*innen, der So­zial­arbeiter*innen und für den Alltag der Menschen, die in den provisorischen Parzellen innerhalb der Hangars weder Privatsphäre noch Ruhe finden. Die Kamera gleitet nach oben und zeigt uns die an Messestände erinnernden Räume, die weder Türen noch Decken haben. Sehr aufgeräumt wirkt das im Film, sauber und oftmals fast leer. Von den katastrophalen Bedingungen, der Überfüllung, der Überforderung und den sich häufenden Konflikten unter den Geflüchteten erzählt Karim Aïnouz nicht.

Später wirken die Bewohner*innen der Unterkunft fast verloren in den Weiten Tempelhofs

Seine filmische Strategie rückt stattdessen immer wieder die Architektur Tempelhofs in den Vordergrund. Zu Anfang passiert das fast ironisch mithilfe einer Touristenführerin, die beginnt, die Geschichte des Flughafens zu erzählen. Später erhebt sich der Kamerablick von einer Drohne auf die Weiten des Feldes oder inszeniert die Bewohner*innen der Unterkunft fast verloren in den Weiten des Areals. Geflüchtete Frauen sehen wir, wie in fast allen deutschen Dokumentarfilmen der letzten Jahre, höchstens am Rande. Filmemacher*innen wie Judith Keil und Antje Kruska („Land in Sicht“) oder Benjamin Kahlmeyer („Die Unsichtbaren“) berichteten bereits über die Schwierigkeiten, geflüchtete Protagonistinnen für ihre Filme zu gewinnen.

Karim Aïnouz ging es zudem um zwei andere Dinge. Zum einen war es ihm ein Anliegen, durch seinen Protagonisten Ibrahim Al Hussein dem medial verzerrten Bild arabischer Männer etwas entgegenzusetzen, was ihm durch das oft zärtliche (Selbst-)Porträt Al Husseins wunderbar gelungen ist. Zum anderen kennt er als brasilianischer Emigrant mit arabischem Namen Alltagsrassismus seit seiner Zeit in Frankreich in den 1980ern. Sicherlich ist „Zentralflughafen THF“ auch deshalb kein Film über die Probleme und Ressentiments geworden, denen geflüchtete Menschen in Deutschland vor allem außerhalb der Hangars und Heime begegnen. Vielleicht verlässt der Film auch deshalb nie das Tempelhofer Feld.

Dass sich außerhalb dieser Welt eine Stimmung des Hasses breitmacht, die im Einzug der AfD in den Bundestag mündet, erzählt der Film nicht. Statt abstrakter und menschenfremder Begrifflichkeiten, Worten wie Hangar, Obergrenze oder Transitzentren zeigt uns dieser Film wieder, worum es eigentlich geht: um Menschen. Es wird höchste Zeit.

Läuft in acht Berliner Kinos. Am 14. Juli, 19.30 Uhr, Wolf-Kino, Vorführung in Anwesenheit von Karim Aïnouz, Ibrahim Al Hussein und Qutaiba Nafea