Entlassen ins Ungewisse

Ein 90-Jähriger wurde aus der Ambulanz des St.-Joseph-Stifts mitten in der Nacht einfach wieder nach Hause geschickt – obwohl er nicht einmal allein gehen konnte

Wer hier entlassen wird, der ist verlassen: die Notfallaufnahme des St.-Joseph-Stifts Foto: Allegra Schneider

Von Simone Schnase

Die Entlassung aus dem Krankenhaus bedeutet für viele PatientInnen nicht, dass sie gesund sind. Für sie müssen sich laut Sozialgesetzbuch die Kliniken im Rahmen des sogenannten „Entlassmanagements“ um eine Anschlussbehandlung oder -pflege kümmern. Dass dies aber nicht für jene gilt, die „nur“ in der Notfall­aufnahme waren, musste am Mittwoch der 90-jährige Heinz Z. erfahren.

Am Morgen war sein linkes Knie stark angeschwollen und schmerzte so sehr, dass er nicht allein aufstehen konnte – Nachbarn kümmerten sich um ihn. Mit einer hausärztlichen Einweisung ins Krankenhaus rief Z. einen Krankenwagen. Der war erst um 18 Uhr verfügbar, aber die Zeit nutzte Z., um einer Nachbarin seinen Wohnungsschlüssel auszuhändigen: „Damit sich jemand um die Blumen kümmert – ich dachte ja, ich wäre nun ein paar Tage weg“, sagt Z.

In der Ambulanz des St.-Joseph-Stifts wurde Z. untersucht: Blutentnahme, EKG, Röntgen. Fast sechs Stunden dauert das. Kurz vor Mitternacht sagte ihm der Arzt, er könne aufgrund einer Erkrankung am Herzen nicht operiert werden. „Er sagte, ich könnte nur mit Schmerzmitteln behandelt werden und müsste jetzt nach Hause.“

Wie er sich das vorstelle, fragte Z. den Arzt: „Es war mitten in der Nacht, ich konnte nicht laufen und ich hatte keinen Wohnungsschlüssel.“ Der Arzt habe erwidert: „Ja, soll ich Ihnen etwa meine Wohnung zur Verfügung stellen?“ Z. ist empört. Glücklicherweise habe er die Nachbarin so spät noch erreicht. Sie versprach ihm, ihn in seine Wohnung zu lassen. Bloß: Da musste er erst einmal hinkommen. Denn einen Krankentransport bekam Z. nicht – lediglich ein Taxi. „Ich habe dann gefragt, ob der Taxifahrer einen Rollstuhl bekommen könnte“, erzählt er. Immerhin: Das klappte. Und zu Hause gelang ihm der Zutritt zu seiner Wohnung dank der Nachbarin: Sie borgte sich den im Flur stehenden Rollstuhl eines anderen Nachbarn. „Der Taxifahrer schüttelte bloß den Kopf und fragte, ob das denn alles so richtig sei, was hier passiere“, sagt Z.

Das fragt sich auch Dirk Mittermeier von der Senioren-Vertretung Bremen. Er wohnt im gleichen Haus wie Z.: „Was wäre geschehen, wenn wir hier nicht eine so gute Hausgemeinschaft hätten? Was geschieht mit alten Menschen, die niemanden haben, der sich um sie kümmert – gilt Entlassungsmanagement nur für diejenigen, die mindestens eine Nacht im Krankenhaus verbracht haben?“

„Es war mitten in der Nacht, ich konnte nicht laufen und ich hatte keinen Wohnungsschlüssel“

Heinz Z., Patient

Ja, heißt es sowohl beim St.-Joseph-Stift als auch beim kommunalen Klinikverbund Geno: Ein Entlassmanagement für ambulante PatientInnen gebe es nicht. „Fürs Krankenhaus ist lediglich entscheidend: Muss der Patient stationär aufgenommen werden oder kann er wieder nach Hause“, heißt es bei der Geno. Und die Sprecherin des St.-Joseph-Stifts sagt: „Es wird aber geklärt, ob die häuslichen Gegebenheiten so sind, dass jemand auch dorthin zurück kann.“

Schriftlich teilt sie außerdem mit, dass bei Bedarf ein Krankentransport bestellt werde, „dessen Kosten von der Krankenkasse nur für Menschen mit stark eingeschränkter Gehfähigkeit übernommen werden“. Die häuslichen Gegebenheiten und die stark eingeschränkte Gehfähigkeit von Heinz Z. haben dort nach seinen Angaben allerdings „niemanden interessiert“. Von Seiten des St.-Joseph-Stifts will man sich zum konkreten Fall nicht äußern.

Für Elsbeth Rütten vom Verein „Ambulante Versorgungsbrücken“ grenzt das, was Z. widerfahren ist, „an unterlassene Hilfeleistung“. Allerdings gebe es in Bremen viel zu wenig Kurzzeitpflegeplätze, insofern wäre es wohl kaum möglich gewesen, Heinz Z. irgendwo unterzubekommen. Aber: „Man hätte ihn ja über Nacht im Krankenhaus behalten können – nein, müssen!“