Das Land der Uiguren

Wegen der Spannungen zwischen Uiguren und Han-Chinesen gilt Chinas westlichste Provinz Xinjiang schon seit Jahrzehnten als Konfliktherd. Ressentiments und Vorurteile sitzen auf beiden Seiten tief. Die mehrheitlich muslimischen Uiguren fühlen sich von den zugewanderten Chinesen wirtschaftlich, politisch und kulturell unterdrückt. Die Führung in Peking sieht Separatisten am Werk, die die Provinz abspalten wollen. Immer wieder kommt es deshalb zu blutigen Zwischenfällen.

Nach einer Reihe von Anschlägen regiert seit zwei Jahren mit Chen Quanguo ein Parteichef über Xinjiang, der vorher schon in Tibet als Hardliner bekannt geworden war. Unter seiner Herrschaft ist die Region zum Testlabor für die weitreichendsten Repressionsmaßnahmen geworden, die die Volksrepu­blik in den letzten Jahrzehnten gesehen hat. Willkürliche Verhaftungen, ständige Kontrollen, die Unterbringung in teilweise geheimen Haftanstalten und Umerziehungslagern, Einschränkungen der Religionsfreiheit – all das gehört für die Uiguren inzwischen zum Alltag.

Mit 1,66 Millionen Qua­drat­kilometern macht Chinas westlichste Provinz etwa ein Sechstel der Fläche der Volksrepublik aus. Mit 22 Millionen Einwohnern leben in dem Gebiet jedoch weniger als 2 Prozent der fast 1,4 Milliarden Menschen in China. Die Kommunisten hatten sich das frühere Ostturkestan nach ihrer Machtübernahme im Jahr 1949 einverleibt. Das erkennen die meisten Uiguren allerdings bis heute nicht an.

Die chinesische Regierung versucht seit den 1990er Jahren mit einer „Go West“-Strategie, die Provinz wirtschaftlich zu entwickeln. Damit hat sie vor allem viele Han-Chinesen aus den reichen Küstenstädten im Osten nach Xinjiang gelockt und den Konflikt noch geschürt. Laut chinesischen Regierungs­angaben leben mittlerweile fast 9 Millionen Han-Chinesen in der Autonomen Provinz – zusammen mit etwa 10 Millionen Uiguren.

Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping möchte eine „neue Seidenstraße“ entstehen lassen und hat Xinjiang zu einem Verkehrskreuz für den Handel mit Zentralasien erkoren. Die Region grenzt an Indien, Pakistan, Afghanistan, Tadschi­kistan, Kirgistan, Kasachstan, Russland und die Mongolei. Doch auch die Menschen in den Nachbarländern wenden sich gegen die Unterdrückung ihrer „muslimischen Glaubensbrüder“ auf chinesischer Seite. Vor allem in den Grenzgebieten von ­Pakistan, Afghanistan und Kirgistan mobilisiert der terroristische „islamische Staat“ auch gegen Peking. Felix Lee