Ausstellung „[Control] No Control“: Unter Kontrolle

In der Hamburger Kunsthalle fragt die Ausstellung „[Control] No Control“, wie Bilder zur Ausübung von Macht dienen können.

Ein Hinterhof in der schwarz-grünlichen Aufnahme einer Nachtsichtkamera.

Düsseldorfer Hinterhöfe, mit der Nachtsichtkamera in Kriegsgebiete übersetzt: Thomas Ruff, „Nacht 2 II“ (1992) Foto: Hamburger Kunsthalle © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

HAMBURG taz | Wer ist sich schon rund um die Uhr bewusst, wie das eigene Tun gesehen wird? Welche Bilder entstehen durch mein Handeln? Sind die eigenen Verhaltensmuster vielleicht für andere in ganz anderer Weise bedeutend? Was machen Beobachter aus dem für das Selbst doch meist sinnvollen Alltag?

Heute geht es bei solchen Überlegungen meist um Spuren in den elektronischen Medien. Aber das Problem ist älter, es ist eine Frage nach der Konstruktion der sozialen Wahrnehmung.

Um sich selbst besser zu verstehen, hat die Französin Sophie Calle schon 1981 einen Privatdetektiv gegen sich selbst beauftragt. Wer nun die entstandenen Bild-Texttafeln liest, muss sich wundern: Auch das Publikum wird niemals wirklich herausfinden, was an Erkenntnissen über das Leben der Künstlerin wahr ist, was inszeniert und was nur Vermutung. Und bei einem Kunstprojekt ist ohnehin nicht sicher, ob diese ganze Idee nicht nur vorgespielt ist.

Dergleichen romanhafte Unsicherheit wäre sogar amüsant, wenn nicht inzwischen im Alltag von allen Ansehen, Vertrauen, Kredite, ja Lebenschancen in hohem Maß von Überwachung und medialer Kontrolle abhingen. Und das Bild ist deren wichtigster Beleg.

Ein Oval Office aus Papier und Pappe

Die Ausstellung „[Control] No Control“ in der Hamburger Kunsthalle ist einer der konzeptuell brisanteren Teile der diesjährigen Hamburger Triennale der Photographie. Hier geht es nicht um Fotos als historische Dokumente oder schöne Kunst, es geht um Bilder zur Ausübung von Macht.

Inhaltlich reicht das vom Präsidentenschreibtisch bis zum Grenzregime, technisch vom Guckkasten bis zur Künstlichen Intelligenz. Die 15 ausgewählten Künstler*innen forschen in Bildarchiven, fragen nach Kontexten, nach Realitätsbezug und verborgenen Informationen. Mitunter versuchen sie, die gleichen Techniken, wie Staat und Militär zu nutzen: Nachtsichtgeräte und kaum vorstellbar effiziente Hochleistungskameras.

Der Rundgang beginnt mit ganz einfachen Fragen: danach, was denn ein Bild sei. Thomas Demands Fotos aus dem Heiligtum der US-amerikanischen Politik, dem Oval Office im Weißen Haus, bebildern in großer Nähe den Ort der Macht. Doch der Künstler baut seine Bilder akribisch als 1:1-Modelle aus Papier und Pappe im Atelier: Der Ort des Handelns wird zur theatralischen Vorstellung seiner selbst.

Ein Haufen grün bedrucktes Papier

Einfacher ist die Botschaft bei Anette Kelm: Ihr Haufen grün bedruckten Papiers ist als Dollarbild erkennbar, spätestens wenn die Noten das Wort „MONEY“ bilden.

Es folgt ein Intermezzo mit Skulptur: In Aluminiumguss macht Bogomir Ecker sichtbar, wie viele unterschiedliche Apparaturen nötig waren, um Bilder überhaupt zu erzeugen. Daneben hat der Bildersammler Peter Piller sich für seine Serie „Möglichkeitssinn“ in Polizei- und Bundeswehrarchiven umgesehen. In einer ganzen Menge der daraus reproduzierten Fotos wurde wohl einst ein Sachverhalt dokumentiert. Aber ohne Wissen darum, was das Bild belegen soll, belegt es rein gar nichts: Alles kann Waffe werden, überall ein Tatort sein.

Durch Unmengen von ähnlichen Informationen lernen aber die Maschinen. Eine wahre Bilderflut von Objekten, Gesichtern, Gesten und Aktionen füttert Datenbanken, um die Künstliche Intelligenz zu speisen. Was diese KI daraus machen könnte, imaginiert Trevor Paglen in seinem teils verpixelten Video: Es ist mit einer suggestiven elektronischen Musik unterlegt, die aus den zum gleichen Wiedererkennungszweck den Maschinen eingespeisten Stimmen und Geräuschen komponiert wurde: Schöne Grüße aus der vielleicht längst eingetretenen Zukunft.

Bild-Technik des Kampfes

Zu den ungemütlicheren Teilen der Ausstellung gehört der politisch-militärische Komplex. Der 2014 verstorbene Dokumentarfilmer Harun Farocki stellt in „Auge/Maschine“ dar, wie sehr visuelle Kriegstechnologien das zivile Leben durchdrungen haben. Und wie sehr zivile Kommunikation zum Geschäfts- und Kontrollmodell geworden ist, zeigt aktuell die Dokumentation der durchaus unbefriedigenden Anhörung zum Datenschutz von Facebook-Boss Mark Zuckerberg im US-Senat.

Als Reaktion auf die Medienbilder zum Golfkrieg rückt Thomas Ruff an sich belanglose Motive aus Düsseldorfer Hinterhöfen mittels Nachtsichtkamera in die Anmutung von Kriegsreportagen und befreit eine vom Kampf dominierte bildgebende Technik zur Kunstsprache.

Sprache selbst kann zum Bild werden, zumindest in der Verweigerung von Information: Jenny Holzer reproduziert in großformatigen handgeschöpften Drucken „Top Secret“-Papiere der CIA. Ausgerechnet bis auf das Stichwort Waterboarding ist der übrige Text der ganzen Seite geschwärzt.

[Control] No Control: bis 23. September 2018, Hamburger Kunsthalle.

Ebenso machen der Fotograf Edmund Clark und der Anti-Terror-Ermittler Crofton Black das Ergebnis von Kontrolle sichtbar: An verschleppte und verschwundene Personen erinnern sie in einer großen Collage mit geschwärzten Belegen und verpixelten Fotos.

Unbedingt überwältigen aber will Richard Mosse: Sein 2014 – 2017 produziertes Dreikanal-Video „Incoming“ zeigt in falschfarbigem Schwarz-Weiß Menschen auf der Flucht. In Stadt und Land, auf dem Meer und für den Blick in den von Vögeln und Kampfmaschinen geteilten Himmel benutzt er eine waffentaugliche Wärmekamera, die speziell menschliche Körper auf über 30 Kilometer Entfernung aufspüren kann.

Das Leiden und die Agonie derer in den überfüllten Fahrzeugen und Booten, die wie außerirdisch dagegengesetzte technische Macht des Militärs, schon das kalte Glitzern der Rettungsfolien: Diese Bilder scheinen von einem anderen Planeten. Aber all das passiert hier, in Nordafrika, in Südeuropa , auf dem Mittelmeer. Egal was die moralischen und politischen Folgerungen sind: Es soll niemand sagen, er hätte es nicht gesehen.

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