Angela Merkels Sommerpressekonferenz: Alles andere als am Ende

Die Kanzlerin setzt nach vier Monaten zähen Regierens einen neuen Spin: Die Flüchtlingsdebatte erklärt sie für ausdiskutiert.

Angela Merkel lächelt, vor ihr heben sich Hände

An dieser Stelle sagte Merkel 2015 „Wir schaffen das“ Foto: reuters

BERLIN taz | Stellen wir uns einen Merkel-Hasser vor. Vielleicht Alexander Gauland von der AfD, der mittags in Potsdam in seine Badehose steigt und vorher noch einen Blick in die Nachrichten wirft. Oder doch lieber Donald Trump, der kurz nach halb sechs Uhr morgens in Washington nach seinem Handy auf dem Nachttisch tastet, um nachzuschauen, wie nah Angela Merkel ihrem politischen Ende ist. Dass die so gut wie weg vom Fenster ist, sagen alle, die Gauland und Trump kennen.

An diesem Freitag ist in Berlin die Sommerpressekonferenz der deutschen Kanzlerin angesetzt. Schade, werden die beiden wohl danach gedacht haben. Denn nach allem, was bei dieser Pressekonferenz zu beobachten war, ist Angela Merkel alles andere als am Ende. Im Gegenteil, nach vier Monaten äußerst zähen Regierens in einer Krawall-Koalition setzt die Kanzlerin einen neuen Spin: Die Flüchtlingsdebatte erklärt sie für ausdiskutiert, nun will sie endlich den Koalitionsvertrag abarbeiten.

Merkels allsommerliche Bundespressekonferenz gilt als berichterstatterischer Höhepunkt. Sie selbst schätzt die neunzig Minuten eher nicht, denn der Ablauf ist einer, den sie schlecht kontrollieren kann. Über ihr Unwohlsein kann auch ihre selbstermunternde Bemerkung gleich zu Beginn nicht hinwegtäuschen, sie stelle sich „gern“ den Fragen der Hauptstadtpresse.

Nirgendwo sonst als vor der berühmten blauen Wand der Bundespressekonferenz muss die Kanzlerin so viele Fragen zu den unterschiedlichsten Themen abarbeiten. Ihre Antworten können schon mal von globaler Tragweite sein. Ihr Satz „Wir schaffen das“ aus dem Jahr 2015 gilt immer noch als Chiffre der deutschen Flucht- und Migrationspolitik. Gauland und seine Leute zitieren ihn bis heute voller Hohn; Flüchtlingshelfern und Antirassisten gilt er als Ansporn.

Sie gerät nur selten ins Schwimmen

In diesem Sommer geht es Merkel vor allem darum, den Eindruck von endlich erreichter Arbeitsfähigkeit der Regierung zu erwecken. In ihrem Eingangsstatement listet sie zehn wichtige Themenbereiche auf. Die „Ordnung und Steuerung der Migration“ kommt darin erst an vierter Stelle – hinter Langzeitarbeitslosigkeit, Künstlicher Intelligenz und dem Planungsbeschleunigungsgesetz. Es folgen Kindergeld und Kitaausbau, Brückenteilzeit, Renten, Baukindergeld, ein ausgeglichener Haushalt und die Pflege. Kurzum: das, was das Leben der BürgerInnen konkret betrifft.

Ins Schwimmen gerät die Kanzlerin nur hin und wieder. Etwa bei Fragen nach den Urteilen im gerade zu Ende gegangenen NSU-Prozess. Angesichts der Mordserie hatte sie den Opferfamilien lückenlose Aufklärung zugesichert. Auf eine entsprechende Frage antwortet Merkel: „Das Kapitel kann noch nicht geschlossen werden.“ Auf die Frage, wie denn die Entscheidung Hessens dazu passe, Akten zum NSU für 120 Jahre geheim zu halten, schweigt Merkel zunächst und erklärt dann: „Meine Zuständigkeit ist der Bund.“

Ein immer wieder nachgefragtes Thema ist die Situation innerhalb der Bundesregierung, und hier speziell das zerrüttete Verhältnis zu Horst Seehofer. Im Streit mit dem Bundesinnenminister, der wegen seines so genannten Masterplans Migration ihre Richtlinienkompetenz in Frage gestellt und ihr selbst das Recht auf seine Entlassung abgesprochen hatte, sieht die Kanzlerin ihre Autorität nicht beschädigt. Sie betont das so oft und variantenreich, dass es eher nach einer Behauptung denn nach einer Feststellung klingt. Man habe als Bundesregierung einen Kompromiss gefunden, der sich nach den Maßgaben ihrer Richtlinienkompetenz als Kanzlerin richte – so in etwa lautet ihre selbstbeschwichtigende Argumentation.

An Rücktritt, sagt sie, habe sie während des heftigen wochenlangen Streits dennoch nie gedacht. „Nein, nein, nein, nein“, antwortet sie auf eine entsprechende Frage

Stattdessen versucht sie eine Vorwärtsverteidigung und präsentiert sich als Siegerin dieses Machtkampfes. Seehofer habe ihre Führungsrolle akzeptiert, sagt sie. Anderenfalls wäre eine weitere Zusammenarbeit „nicht möglich gewesen“.

Wie sehr sie sich über Seehofer tatsächlich geärgert hat, deutet die Kanzlerin nur an: Sie kritisiert seine Sprache – „Die Tonalität war oft sehr schroff“ – und weist ihm die Schuld für das schlechte Erscheinungsbild der Regierung zu: „Es ist Schaden entstanden.“ Der Zoff habe zur Politikverdrossenheit unter den WählerInnen beigetragen.

An Rücktritt, sagt sie, habe sie während des heftigen wochenlangen Streits dennoch nie gedacht. „Nein, nein, nein, nein“, antwortet sie auf eine entsprechende Frage. Wenn sie mitten in einer Auseinandersetzung stecke, müsse sie schließlich alle Energie darauf konzentrieren, statt sie an Rücktrittsgedanken zu verschwenden.

Auch von ihrem zweiten Gegner, dem US-Präsidenten Donald Trump, will sich Merkel öffentlich keinesfalls aus der Ruhe bringen lassen. Wie sie sich dessen permanente Angriffe erkläre, wird Merkel gefragt. „Ich nehme es erstmal zur Kenntnis“, sagt die Kanzlerin. „Es“ sagt sie. Nicht: „Diesen Unsinn“. Aber die Distanzierung ist für ihre Verhältnisse maximal, zumal durch den Zusatz: „Dann versuche ich, mit meinen Argumenten zu antworten.“

Keine Klagen

Für Trumps Aussage, dass er die EU als „Feind“ sehe, äußert sie Unverständnis und erklärt hoheitsvoll: „Ich habe da einen anderen Ansatz.“ Auch dass Trump die Beistandsverpflichtung der Nato für kleine Mitgliedstaaten wie Montenegro in Frage gestellt hat, kritisiert sie scharf: Diese Pflicht gelte „für alle Mitgliedstaaten der Nato, nicht nur für große oder für kleine oder für einige“.

Als Eindruck bleibt hängen: Hatte Merkel die ihr zugeschriebene Rolle als Trumps Gegenspielerin auf internationaler Bühne lange zurückgewiesen, scheint sie sie mittlerweile mehr oder weniger offen anzunehmen. In Zeiten, da Donald Trump jeden Tag eine neue Unverschämtheit bereit hält, schimmert ihr Panzer aus Fleiß und Anstand um so heller.

Fast neunzig Minuten sind um, als ein Journalist sie um Auskunft darüber bittet, „wie erschöpft Sie sind“. Als er nachsetzt „wenn Sie dann mal einen Moment ganz ehrlich sein können“, ist vereinzeltes Lachen zu vernehmen. Angela Merkel streckt das Kreuz im roten Blazer, schaut aus müden Augen den Fragesteller an. „Ich klage nicht“, sagt sie, „die Zeiten sind fordernd.“ Und na gut, sie wolle nicht verhehlen, „dass ich mich freue, wenn ich jetzt ein paar Tage Urlaub habe und etwas länger schlafen kann“. Es sind Sätze wie diese, die Merkel-Hasser in die Verzweiflung treiben dürften. Angela Merkel – stets bereit, nicht klein zu kriegen.

Und da ist auch noch eine andere Ansage, die das imaginierte politische Ende der amtierenden Kanzlerin in weite Ferne rücken lässt. Bei jeder, wirklich jeder Gelegenheit wird Merkel nach ihrem Abschied von der Politik gefragt. In diesem Sommer 2018, nach einem üblen Gehakel in der Regierung und offenen Drohungen seitens außenpolitischer Gegner, schien es zeitweise durchaus vorstellbar, dass Merkel demnächst hinwirft. Stets antwortet Merkel auf diese Frage, sie habe vor, die Legislaturperiode vollzumachen, so wie sie es den WählerInnen zugesagt habe.

Diesmal wiederholt sie nicht nur diese Zusage. Auf die Nachfrage, ob sie für eine weitere Kandidatur zur Verfügung stehe, antwortet sie: „Es gibt für alle Dinge einen geeigneten Zeitpunkt.“ Merkel-Hasser wie Gauland, Trump und all die anderen dürfte dieser Satz unmittelbar in einen Zustand der Verzweiflung versetzen.

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