Nachlass mit unbekanntem Risiko

Die Pläne zum Rückbau des Atommeilers Krümmel bei Geesthacht liegen jetzt öffentlich aus. Streit gibt es über die Entsorgung von angeblich ungefährlichem Bauschutt. Umweltverbände wollen Konzept des grünen Energieministers Robert Habeck nicht mittragen

Strahlende Ruine: Schon seit sieben Jahren ist das AKW Krümmel an der Elbe stillgelegt. Nun soll es zurückgebaut werden Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Von Sven-Michael Veit

Gelegentlich geraten dem Dichterphilosophen Robert Habeck die Metaphern durcheinander. „Durch solche Meilensteine bringen wir den Atomausstieg für jedermann sichtbar auf die Zielgerade“, jubelt Schleswig-Holsteins grüner Umwelt- und Energieminister. Der eher profane Anlass: Die Unterlagen für den Rückbau des Atomkraftwerks Krümmel bei Geesthacht liegen ab dem heutigen Dienstag öffentlich aus. Für zwei Monate können Interessierte sich im Rathaus der Kleinstadt an der Elbe östlich von Hamburg darüber informieren, wie Kraftwerksbetreiber Vattenfall sich den Abriss des Meilers und den Bau eines Zwischenlagers für schwach- und mittelradioaktive Abfälle auf dem Werksgelände vorstellt.

Und es können Einsprüche eingelegt werden. Auch Bettina und Gerhard Boll, die seit über 40 Jahren gegen das AKW vor ihrer Haustür kämpfen, wollen sich die Pläne genau ansehen. „Der Rückbau ist natürlich besser, als die strahlende Ruine da stehen zu lassen“, sagt Bettina Boll. Aber an die versprochene „grüne Wiese“ glaubt sie nicht, denn das Zwischenlager werde wohl Jahrzehnte dort stehen. „Wir hoffen auf die weitere Dialogbereitschaft des Betreibers und des Ministeriums“, sagt Boll. „Wir müssen gemeinsam den besten Weg finden, dieses Kapitel zu beenden.“

In Norddeutschland wurden acht Atomkraftwerke errichtet.

Lingen:Baubeginn 1. 10. 1964, Betriebsbeginn: 1. 10. 1968, Leistung 268 Megawatt (MW), Stilllegung 5. 1. 1977, im Einschluss.

Stade: Baubeginn 1. 12. 1967, Betriebsbeginn: 19. 5. 1972, Leistung 672 MW, Stilllegung 14. 11. 2003, im Rückbau.

Brunsbüttel: Baubeginn 15. 4. 1970, Betriebsbeginn: 9. 2. 1977, Leistung 806 MW, Stilllegung 6. 8. 2011, Rückbau in Planung.

Unterweser: Baubeginn 1. 7. 1972, Betriebsbeginn: 6. 9. 1979, Leistung 1.410 MW, Stilllegung 6. 8. 2011, im Rückbau.

Krümmel: Baubeginn 5. 4. 1974, Betriebsbeginn: 28. 3. 1984, Leistung 1.402 MW, Stilllegung 6. 8. 2011, Rückbau in Planung.

Brokdorf: Baubeginn 1. 1. 1976, Betriebsbeginn: 22. 12. 1986, Leistung 1.480 MW, Stilllegung geplant zum 31. 12. 2021.

Grohnde: Baubeginn 1. 1. 1976, Betriebsbeginn: 1. 2. 1985, Leistung 1.430 MW, Stilllegung geplant zum 31. 12. 2021.

Emsland: Baubeginn 10. 8. 1982, Betriebsbeginn: 20. 6. 1988, Leistung 1.406 MW, Stilllegung geplant zum 31. 12. 2022.

Der Meiler in Krümmel war 2011 nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima stillgelegt worden. Allerdings war er bereits seit Juni 2007 wegen diverser Zwischenfälle abgeschaltet, die ihm die Bezeichnung „Pannenreaktor“ eingebracht hatten. Lange hatte er zudem in Verdacht gestanden, für die Häufung von Leukämieerkrankungen vor allem bei Kindern und Jugendlichen in der Elbmarsch oberhalb Hamburgs verantwortlich zu sein. Obwohl das nicht gerichtsfest belegt werden konnte, wurde er von Atomkraftgegnern gern „Krümmelmonster“ genannt.

Ungeklärt ist jedoch noch die Entsorgung. Während die strahlenden Abfälle wie Brennstäbe in Castorbehältern in Zwischenlagern aufbewahrt werden, bis dereinst ein Endlager gefunden ist, werden andere Teile auf ihre radioaktive Belastung geprüft und nach einer mehrstufigen „Freimessung“ als normaler Schutt deklariert. In jedem Atomkraftwerk sind Hunderttausende Tonnen Beton verbaut, Krümmel ist rund 550.000 Tonnen schwer. Nur ein kleiner Teil im Innern der Anlage, je nach Reaktorgröße 3.000 bis 6.000 Tonnen, kommt jedoch mit Radioaktivität in Berührung und erhält aufgrund seiner Strahlenbelastung nur eine eingeschränkte Freigabe. Diese Stoffe dürfen nicht in die Wiederverwertung gelangen. Sie fallen unter das Abfallwirtschaftsgesetz und müssen auf Deponien gelagert werden.

Der weitaus größte Teil des Bauschutts kann jedoch wiederverwertet werden, zum Beispiel beim Straßenbau. Strittig ist jedoch, ob der Müll tatsächlich frei von Strahlung ist – also nur „emotional belastet“, wie die Fachleute der Atomaufsicht versichern. Oder tragen die Brocken doch ein unsichtbares Risiko, wie Bürgerinitiativen und Umweltverbände befürchten? „Wir möchten so viel Material wie möglich unter Aufsicht behalten“, sagt Ole Eggers, Landesgeschäftsführer des Umweltverbandes BUND. „Dann kann nach einer Abklingphase in 50 oder 100 Jahren entschieden werden, ob die Stoffe wirklich ungefährlich sind.“

„Bund und Land machen doch nur, was die Betreiber wollen – den Müll billig verbuddeln“

Atomkraftgegner Karsten Hinrichsen

Wie die Atomaufsicht im Energieministerium sich den Umgang mit dem strahlenden Müll vorstellt, will Minister Habeck am Mittwoch bekannt geben. Das Entsorgungskonzept, das in den vergangenen zwei Jahren erarbeitet wurde, trifft bei atomkritischen Umweltverbänden indes nicht auf Begeisterung. Die letzte ihm bekannte Fassung „werden wir so nicht mittragen können“, sagt BUND-Chef Eggers.

Streitpunkt ist der seit Jahren festgelegte Grenzwert von zehn Mikrosievert – eine Strahlendosis, die Befürwortern als ungefährlich gilt, die Kritiker aber als viel zu hoch betrachten. „Bund und Land machen doch nur, was die Betreiber wollen – den Müll billig verbuddeln“, sagt Karsten Hinrichsen von der Anti-Atom-Initiative „Brokdorf akut“. Das habe sich schon beim ebenfalls 2011 stillgelegten AKW Brunsbüttel gezeigt, für das die Rückbaupläne 2016 vorgelegt wurden. Hinrichsen rechnet noch in diesem Jahr mit dem Genehmigungsbescheid. „Und dann werden wir wohl vor Gericht ziehen müssen, um die Gesundheit der Anwohner zu schützen“, sagt er.