Kommentar Urteil zur Fixierung: Fesseln verliert an Attraktivität

Die Fixierung von Psychiatrie-Patienten ist demütigend. Genutzt wird sie bislang oft bei Personalmangel. Dem beugt Karlsruhe jetzt indirekt vor.

Zwei Hände sind über einem kühlen grauen Betonbalkon zu sehen, eine hält eine Zigarette

Mit dem Patienten eine rauchen gehen, ist weitaus effektiver – und erfordert keine Demütigung Foto: Unsplash/ S Alb

Die zwangsweise Unterbringung von psychisch Kranken in einer Klinik muss heute schon von einem Richter angeordnet werden. Das heißt aber nicht, dass die Kliniken mit den Patienten anschließend machen können, was sie wollen. Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt zu Recht festgestellt, dass das Fixieren und Festbinden von Patienten eine neue richterliche Zustimmung benötigt.

Die Fixierung geht noch einmal weit über den Einschluss in einem Gelände oder einem Gebäude hinaus. Denn natürlich wird diese Situation von vielen Betroffenen als demütigend und traumatisch erlebt, wenn man sich kaum noch bewegen kann, wenn man ohne rechtzeitige Hilfe der Pfleger in die Unterwäsche pinkeln muss.

Der Richtervorbehalt kann nun sicherstellen, dass die Fixierung nicht missbraucht wird, um unliebsame Patienten zu bestrafen oder um Personalengpässe zu kompensieren. Bei der mündlichen Verhandlung im Januar zeigte sich, dass fehlendes Personal durchaus zu mehr Fixierungen führen kann. Wenn der Aufnahmearzt genug Zeit hat, kann er mit dem Eingelieferten erst mal eine rauchen gehen, das helfe oft schon zur Beruhigung, erklärte ein Sachverständiger. Wenn aber noch sieben weitere Patienten warten, sei das schwierig. Die Amtsrichter müssen künftig also nicht nur die Situation des Betroffenen bewerten, sondern auch die der Klinik – wenn der Richtervorbehalt etwas bringen soll.

Wichtiger als der Richtervorbehalt könnte deshalb die von Karlsruhe auch geforderte „1-zu-1-Betreuung“ während der Fixierung sein. Hierfür müssen die Kliniken künftig also deutlich mehr Personal aufwenden – damit die Fixierung Teil der Therapie sein kann und nicht zur bloßen Stilllegung verkommt. So ausgestaltet verliert die Fixierung aber automatisch an Attraktivität für die Kliniken. Wenn mehr Personal benötigt wird, taugt die Fixierung nicht mehr als Notnagel bei personellen Engpässen. Das haben die Richter zwar so nicht formuliert, aber sicher so gedacht.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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