Motivator und trauriges Tagebuch

Samira Mousa hat Multiple Sklerose und ist 600 Kilometer gepilgert. Ihr Buch über den Trip stellte sie nun vor

Von Eva Müller-Foell

Samira Mousa kennt Orte wie die Ipse gut, einen Club, der nun der Ort ihrer Lesung ist. Die 28-Jährige war Techno-Bookerin, vermittelte DJs, ging in den Clubs ein und aus – bis sie die Diagnose Multiple Sklerose bekam. Zum Arzt ging sie, weil ihre Augen sich irgendwann so anfühlten, als hätte jemand Angel­haken dahinter befestigt und zöge nun daran. Diese Beschreibung stammt von Mousa. Es ist ein Versuch, diese Auto­immuner­krankung greifbar zu machen, bei der das eigene Immunsystem das zentrale Nervensystem angreift. Und in das Leben ein­greift. Manchmal, nicht immer. In Schüben.

Auf dem Ipse-Außengelände stellte Mousa am Mitt­woch ihr Buch „Und morgen Santiago“ vor. Es ist ein Buch über ihre Erlebnisse auf dem Jakobsweg, etwa 600 Kilometer und 160 Seiten lang, von Santander bis Santiago de Compostela, von per­sönlicher Vorgeschichte bis Tipps und Tricks rund um den Camino. Ein Weg, den schon viele gegangen sind und von dem es schon zu viele Geschichten gibt. „Ich bin dann mal weg“ und so. Nur eben nicht so. Mit Multipler Sklerose.

Nachdem Mousa die Diagnose bekommen hatte, hatte es sich ausgetanzt. Einfach so. Doch weder sie noch ihr Buch wirken wie eine Anklage gegen ihr Schicksal. Im Gegenteil. Obwohl Mousa diese „unsichtbare Behinderung“ hat, wie sie selbst sagt, weil sie von außen nicht zu sehen ist, sich innerlich im Körper abspielt und dann leise wird, bis jemand wieder aufdreht wie der DJ seine Mucke, hört man sie Ja sagen zum Leben.

„Die Multiple Sklerose ist meine Freikarte, um das Hamsterrad zu verlassen,“ erzählte sie etwa während der Lesung. Zwar dauerte es ein Jahr, bis die Unsicherheit nachgelassen und sich in positive Energie verwandelt habe. Bis sie aufhörte, Horror­geschichten im Netz zu lesen, die wie bei einem Kind wirkten, sie vom Schlafen abhielten. Sie beschloss, es anders zu machen, positiver zu denken – und zu schreiben. Mousa gründete einen Blog über die Krank­heit, der heute etwa 26.000 Besucher im Monat hat. Sie kündigte ihren Job als Bookerin und startete noch mal neu.

Manchmal ist ihr Buch ein Motivator, manchmal auch ein trauriges Tage­buch. „Diese Last ist jeden Tag bei mir, jede Nacht. Sie lebt in mir und ich mit ihr. Manchmal ist sie schwerer, manchmal leichter. Manchmal spüre ich ihr Gewicht gar nicht, und am nächsten Tag begräbt sie mich unter ihrem Gewicht. Ich weiß nie, wie schwer sie am nächsten Tag sein wird. Sie ist unberechenbar.“

Es sind Schübe, oft ausgelöst durch Stress, die die Krankheit bestimmen – auch auf dem Jakobsweg. Bei Samira Mousa sind es Schmerzen in den Augen, Schwindel, Taubheits­gefühle in den Händen, die sich dann so anfühlen, als hätte sie Gummihandschuhe angezogen. Und als sie das so beschrieb, draußen in der Ipse, kam kurz Rauch aus der Nebelmaschine. Wie ein MS-Schub, der kommt und sich mit Medikamenten wieder in Luft auflöst. Zumindest meis­tens.

Die Medikamente hatte Mou­sa auf dem Weg immer bei sich. 21 Tage war sie unterwegs. Oft war es schwer, schreibt sie. „In einer Bar kaufe ich mir ein Trost-Eis. Die Wände sind nikotingelb, die Gäste auch. Sie starren in Zeitungen, die genauso – aufgeschlagen und voll schlechter Nachrichten – schon seit vielen Jahrzehnten auf dem speckigen Tresen zu liegen scheinen. Müsste ich einem Menschen das Gefühl einer Depression begreiflich machen – ich würde ihn nach Lourenzá schicken.“ Wer jemandem das Gefühl einer chronischen Krankheit wie Multiple Sklerose begreiflich machen will, sollte ihm Samira Mousa zu lesen geben.

Samira Mousa: „Und morgen Santiago – 600 km Jakobsweg mit MS“. E-Book, Selbstverlag