Hilfe kommt von muslimischen Bosniern

Was in den nächsten Monaten mit den inzwischen mehr als 10.000 registrierten und Tausenden von nicht registrierten Migranten in Bosnien und Herzegowina geschehen soll, ist noch völlig unklar. Die Zeit drängt, denn in spätestens drei Monaten setzt der Winter ein. Klar ist, dass die Flüchtlinge eine Staatskrise hervorrufen können. Angesichts der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 7. Oktober wird das Thema in den Wahlkampf gezogen.

Schon heute versuchen die Nationalisten vor allem auf serbischer und auf kroatischer Seite, die Flüchtlingskrise zu benutzen, um der gemeinsamen Zentralregierung unter Beteiligung der bosniakischen (muslimischen) Parteien die Schuld an der Flüchtlingsmisere in die Schuhe zu schieben. Tatsächlich meiden die aus Richtung Griechenland kommenden, zumeist muslimischen Migranten jene Gebiete Bosnien und Herzegowinas, die von serbischen und kroatischen Nationalisten beherrscht werden. Sie versuchen so schnell wie möglich, muslimisch besiedelte Gebiete in Bosnien und Herzegowina zu erreichen.

Es hat sich inzwischen bis Afghanistan und Pakistan herumgesprochen, dass die serbische und kroatische Polizei sehr brutal gegen Flüchtlinge vorgeht. Und so vermuten sie zu Rec0ht, dass auch in den serbischen und kroatischen Siedlungsgebieten in Bosnien und Herzegowina Flüchtlinge unerwünscht sind, während die Bevölkerung in den bosniakischen Gebieten den Neuankömmlingen hilft, so gut es geht.

Von Montenegro kommend müssen sie nach Überwindung der grünen Grenze über 100 Kilometer die serbische Teilrepublik durchqueren, bis sie bosniakische Siedlungsgebiete erreichen. In Sarajevo werden die meisten dieser Leute registriert. Von dort aus geht dann die Fahrt – oftmals mit normalen Linienbussen – weiter bis nach Westbosnien, in die zu 95 Prozent von Muslimen bewohnten Gebiete um Bihać und Velika Kladuša.

Der Balkan ist kein Transitraum mehr

Vor allem Pakistaner und Afghanen kommen über diese Route. Seit täglich fünf Flugzeuge von Iran aus in Belgrad landen und Iraner visafrei nach Serbien einreisen können, versuchen auch viele Iraner, die Route zu nutzen – mit größerer Aussicht auf Erfolg als die Pakistaner, denn die Iraner haben keine Odyssee hinter sich und genug Geld in der Tasche, um kroatische Schleuser zu bezahlen. Die Zeit, als sich die Menschen des Balkan ihre Staaten als „Durchgangsländer“ empfunden haben, sind vorbei. Bosnien und Herzegowina ist von der EU aufgefordert worden, entsprechend zu handeln und den Flüchtlingen bei Begehr Asyl zu gewähren.

„Wir müssen uns klar machen, dass die EU-Grenze keineswegs mehr durchlässig ist“, warnt der bosnische Sicherheitsminister Mijo Krešić. Weit weniger Flüchtlinge als angenommen hätten es geschafft, über Kroatien in weitere Staaten der EU zu gelangen. „Uns wurde schon vor Monaten vonseiten der EU erklärt, dass es an der Migrantenroute kein Transitland mehr gibt.“

Der Minister warnte weiterhin, dass die meisten Migranten in Bosnien und Herzegowina bleiben würden. Das Land ist jedoch auf einen Andrang dieser Art weder personell noch logistisch vorbereitet. Es gibt weder winterfeste Unterkünfte noch eine Logistik für Verpflegung oder medizinische Betreuung – die sich übrigens auch die eigene Bevölkerung wünschte. Angesichts dieser Situation sind in den Medien Überlegungen aufgetaucht, Flüchtlinge in von der Bevölkerung verlassene oder vor zwanzig Jahren „ethnisch gesäuberte“ Gebiete unterzubringen.

Nationalisten auf serbischer und kroatischer Seite fordern jetzt lautstark die sofortige Schließung der Grenzen des Landes. Sowohl der kroatische Nationalistenführer Dragan Cović als auch sein serbisches Pendant, der Präsident der serbischen Teilrepublik, Milorad Dodik, haben bisher jedoch alles unternommen, den Aufbau einer gesamtstaatlichen Polizei zu behindern. Nur eine solche Truppe könnten die Außengrenzen kontrollieren.

„Wir müssten sofort 2.000 Polizisten anstellen und an der Grenze nach Montenegro stationieren“, forderte vor wenigen Tagen der Sicherheitsminister des Gesamtstaates, Mijo Krešić. „Letztlich werden die muslimischen Siedlungsgebiete die Flüchtlingskrise bewältigen müssen“, schätzen Mitarbeiter der EU-Mission in Sarajevo die Lage ein.

Erich Rathfelder