Meister der Pausen

Zum Tod des Dokumentarfilmers Klaus Wildenhahn

Foto: Bornemann/Dok.fest

Wer in 100 Jahren wissen will, wie Westdeutschland war, welche Tonalität und Gesten, welche Gefühle (versteckte vor allem) es gab, wird vielleicht in Klaus Wildenhahns Dokumentarfilmen fündig werden. Künstler und Arbeiter, Politiker und Kneipenbesucher, Tänzerinnen und gewöhnliche Leute bevölkern diese Filme. Alltag, oft Provinz, oft in Schwarz-Weiß. Mit vielen Grautönen.

Wildenhahn zeigte in den 70er und 80er Jahren Arbeitskämpfe, etwa in „Emden geht nach USA“ oder „Rheinhausen“. Seine Helden waren mitunter schweigsame, willensstarke Männer. Wildenhahn war seinen Figuren nah, er sympathisierte mit ihnen. Er galt damals als Arbeiterfilmer. Aber das war ungenau. Wildenhahn hat fast 50 Filme gedreht. Jedes Bild darin ist eine Beobachtung. Das ist nicht banal. Es gibt darin keine Bilder, die etwas beweisen sollen. Das Agitatorische war ihm sowieso fern, schon habituell. Er ruhte in sich selbst und strahlte eine Besonnenheit aus, die wie ein Echo der Genauigkeit seiner Filme erschien.

Wildenhahn entdeckte damals das direct cinema für das deutsche Fernsehen. Ende der 50er Jahre gab es mobile Kameras und damit eine Technik, die die filmische Erfassung des Spontanen ermöglichte.

Er war mehr als 30 Jahre Redakteur beim NDR. Auch das ist nicht banal. Es klingt 2018 wie ein Märchen aus vergangener Zeit. Die Fernsehredaktionen 2018 sind weitgehend zu Formatierungsmaschinen ohne jeden kreativen Esprit geworden. Schwer vorstellbar, dass sich Sender einen eigenwilligen dokumentarischen Autorenfilmer leisten.

Seine Arbeitsweise hatte etwas Kontemplatives. Seine schönsten Filme zeigten Künstler, John Cage, Pina Bausch, Merce Cunningham. Aber das waren keine Künstlerporträts, die das eigene, im Feuilleton eher verachtete Medium mit höheren Weihen versehen sollten. Wildenhahn zeigt Kunst als Arbeitsprozess, so wie alltägliche Szenen in Ostfriesland oder Duisburg-Rheinhausen plötzlich leuchten konnten wie ein Moment der Kunst.

Gelernt hat er diesen Blick im Kino. In den Filmen von Ozu. Dort, sagte er mal, „habe ich das Gefühl entdeckt für die tausend Dinge, die im Alltag passieren, und für die Pausen, die dabei entstehen“. Die Pausen, die in kaum ein TV-Format mehr passen.

Klaus Wildenhahn wurde 88 Jahre alt. Stefan Reinecke