Gruselige Dominanz

Die kroatische Diskuswerferin und überführte Doperin Sandra Perkovic, 28, holt ihren fünften EM-Titel in Serie und will noch zehn weitere Jahre mitmischen

Möglicherweise wahr: „Run clean“ steht auf dem Sporthemd von Perkovic. Sie wirft lieber Foto: ap

Aus Berlin Alina Schwermer

Am Ende wurde es dann noch rührig. Sandra Perkovic, die gigantisch überlegene Favoritin im Diskuswurf, hatte vorab nämlich nicht nur den Wunsch geäußert, ihren EM-Titel zu verteidigen und mit dem fünften EM-Gold in Serie Geschichte zu schreiben. Ihr zweitgrößter Wunsch, so bekundete die Kroatin, sei es, das Maskottchen Berlino zu umarmen. Und Berlino, dieses Bärentier mit der unbeirrbaren Neigung, Athleten zu knuddeln, liebkoste die Diskuswerferin unter Rührungsrufen des halben Stadions. Berlino schleppte die freudig kreischende Perkovic über die blaue Bahn, und die EM hatte wieder ein schönes Bild

Dieser Tage, wo die Leichtathletik ein einvernehmliches Fest feiert und Zuschauerrekorde aufstellt, häufen sich die schönen Geschichten. Über anderes spricht man nicht viel. Die Zeit wagte zuletzt den Versuch mit einem Text über die Deutsche Heike Drechsler, die gedopt ihre Rekordweiten sprang und sich anno 2018 in Berlin mit der Harke am Weitsprungbecken vom DLV als Legende feiern lassen darf. Getilgt wurde ihr Rekord nie. Von Schmutz schweigt man in der Leichtathletik-Familie wie bei der Fifa. Drechsler fegt derzeit beherzt über alles mit der Harke drüber. Und bei Perkovic fragt derzeit niemand nach.

Sandra Perkovic, die Diskus-Königin, hat, wie man so schön sagt, eine durchaus belastete Vergangenheit. In Barcelona 2010 wurde sie die jüngste Diskus-Europameisterin aller Zeiten, im zarten Alter von zwanzig Jahren. Im folgenden Jahr, 2011, wurde Perkovic bei Dopingkontrollen in Schanghai und in Rom positiv auf das verbotene Mittel Methylhexanamin getestet. Die beliebte Substanz, bekannt als DMAA, wird vor allem im Kraftsport gern genutzt, um die Leistung zu steigern. Das Mittel ist nicht ungefährlich: In den USA wurden laut einem Bericht der New York Times zwischen 2008 und 2013 mindestens fünf Todesfälle durch DMAA registriert. Sandra Perkovic tat, was man als Athletin eben so tut: Sie behauptete, sie habe das Mittel „nicht wissentlich“ eingenommen. Ein dummer Zufall also, und das gleich mehrfach.

Die Kroatin wurde für sechs Monate gesperrt, ihre 2011 erzielte Bestleistung von 69,99 Metern, die größte Diskus-Weite bei den Frauen seit zwölf Jahren, wurde aberkannt. Und danach durfte sie weitermachen. Seither erzielt sie seltsamerweise noch bessere Weiten als einst unter nachweislichem Doping, darunter 71,08 Meter bei der EM 2014. Die 28-Jährige dominiert seit acht Jahren den Diskus-Wettbewerb auf etwas gruselige Art und Weise. Einer europäischen Konkurrentin gelang es zuletzt 2010, die Kroatin im Wettkampf zu schlagen. Beim Finale am Samstagabend warf Perkovic zunächst ungewohnt schwach; im letzten Versuch dann sicherte sie sich mit lockeren 67,62 Metern die Goldmedaille. Sandra Perkovic ist jetzt die einzige Person, die je fünf Europameistertitel hintereinander gewinnen konnte. Doping wurde ihr nie wieder nachgewiesen.

Korruptes Umfeld

Die Werferin pflegt selbst ein kluges Understatement. „Vielleicht wird es Zeit, dass ein kleines kroatisches Mädchen in Deutschland den Titel holt“, sagte sie vor dem Wettbewerb. Und betonte gleichzeitig kühl, dass kein anderer Platz als der erste sie interessiere. „Aber jeder weiß, dass ich einen schlechten Tag haben kann.“ Den hat sie freilich nicht allzu oft. In fast keiner Disziplin sind die Titelkämpfe so langweilig geworden. Und auch abseits des Stadions weiß Sandra Perkovic, wie man sich gut platziert. Seit 2015 sitzt sie in ihrer Heimat Kroatien im Parlament, für die Partei „Rada i Solidarnosti“ (Arbeit und Solidarität), die vom Bürgermeister von Zagreb, Milan Bandic, begründet wurde. Der wiederum wurde 2015 wegen Bestechungsvorwürfen festgenommen und ist überaus gut mit dem korrupten Paten von Dinamo Zagreb, Zdravko Mamic, verbandelt.

Der aktuelle Weltrekord im Diskus der Frauen, die 76,80 Meter der DDR-Sportlerin Gabriele Reinsch, stammt noch aus den achtziger Jahren, den goldenen Zeiten des Anabolika-Dopings. Zweifelhaft, dass selbst Sandra Perkovic da herankommt. Mit ihrer Bestleistung von 71,41 Metern aus dem vergangenen Jahr allerdings ist sie so nahe an den Weltrekord gekommen wie keine Athletin in den letzten 25 Jahren. Und die Reise geht weiter. „Ich liebe einfach den Sport und ich liebe Diskuswurf. Ich sehe gern gut aus, ich reise gern, aber am glücklichsten ist Sandra Perkovic, wenn sie über 70 Meter wirft“, sagte die Athletin kürzlich in Lothar-Matthäus-Dritte Person-Duktus. Und nebenbei kündigte sie an: „Ich will noch zehn Jahre an der Weltspitze werfen.“ Wer also auf Abwechslung hoffte, wird möglicherweise lange warten müssen.