die woche in berlin
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Nach der Leichtathletik-EM bekommt die Debatte über Hertha und das Olympiastadion neuen Schwung, beim Festival „Pop-Kultur“ wird heftig diskutiert, in den Schulen geht man mit einer Menge quereinsteigender Lehrkräfte an den Start, und Brandenburg schiebt nach Afghanistan ab

Soll gar nicht olympisch sein

Nach Leichtathletik-EM hofft Hertha auf Stadion

Ein richtiges Fest war die Leichtathletik-Europameisterschaft, mit Siegerehrung am Breitscheidplatz und einer tollen Stimmung im Olympiastadion. Einer Stimmung, wie sie Hertha BSC auch gerne hätte. Aber vielleicht ist ihr der Fußballbundesligist gerade ein Stück näher gekommen, der Leichtathletik-EM sei Dank.

Am Montag hatte Innen- und Sportsenator Andreas Geisel (SPD) so etwas wie eine Vorentscheidung verkündet. Noch angetan vom Fest der Leichtathleten und den Fernsehbildern von der blauen Laufbahn im Olympiastation, sagte Geisel dem RBB, er halte den Umbau des Olympiastadions in eine reine Fußballarena für „ziemlich ausgeschlossen“.

Damit ist die eine Katze wieder im Sack. Noch im Frühjahr hatte Geisel sowohl einen Stadionumbau als auch den Neubau einer reinen Fußballarena in unmittelbarer Nachbarschaft des Olympiastadions für möglich erklärt. Hertha-Manager Michael Preetz sprach sich aber klar für einen Neubau aus: „Ein umgebautes Olympiastadion ist für uns keine Option.“

Das sieht nun auch Geisel so, wenn auch aus anderen Gründen. Geht es Hertha vor allem darum, in einer Fußballarena mit 55.000 Plätzen und steilen Rängen möglichst viel Atmosphäre zu erzeugen, geht es Geisel vor allem ums Geld. 200 Millionen Euro würde ein denkmalgerechter Umbau des Olympiastadions kosten, bezahlt vom Steuerzahler. „200 Millionen Euro Steuergelder einzusetzen, und Hauptnutzer Hertha BSC sagt hinterher, so wolle er es nicht, ist ganz schön viel Geld. Das halte ich für ausgeschlossen“, so Geisel im RBB.

Der Stadionneubau dagegen wäre rein privat finanziert. Zudem müsste Hertha zusichern, keine Konzerte zu organisieren, um dem landeseigenen Olympiastadion keine Konkurrenz zu machen.

Zwar ist Hertha seinem Ziel in dieser Woche einen wichtigen Schritt näher gekommen, aber längst sind noch nicht alle Punkte geklärt. Das betrifft die Nachnutzung des Olympiastadions ebenso wie die Frage des Erbpachtvertrags, den Hertha mit dem Land schließen will. Und dann hat auch der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf erklärt, ein Wörtchen mitreden zu wollen.

Immerhin, die Zeit drängt, und zwar für beide Seiten. 2025 läuft der Vertrag von Hertha für das „Oly“ aus. Bis dahin muss das neue Stadion stehen. Oder Hertha spielt weiter in der ungeliebten Betonschüssel.

Vorsichtig optimistisch, wenn auch unfreiwillig, zeigte sich am Freitag Berlins Regierender Bürgermeister. Er gratulierte der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller zum 65. Geburtstag. Allerdings schrieb er nicht Herta, sondern Hertha. Na dann!

Uwe Rada

Zauber gegen Realpolitik

Die Pop-Kultur in der Kulturbrauerei

Das Festival „Pop-Kultur“, das von Mittwoch bis Freitag in der Kulturbrauerei stattfand, ist dank fetter staatlicher Förderung so etwas wie das offi­ziellste aller Musikfestivals hier. Veranstaltet wird der Nachfolger der „Berlin Music Week“ vom Musicboard Berlin und hat im vierten Jahr eine gute Form gefunden. Es war übrigens die zweite Ausgabe an der Spielstätte in Prenzlauer Berg. Die atmet zwar keinerlei subkulturellen Geist mehr, erwies sich aber dank unterschiedlichster Räumlichkeiten und des kommunikativen Innenhofs als guter Ort für die multidisziplinäre Veranstaltung.

Neben einer bunten Mischung von Konzerten – weniger international etablierte Headliner als bisher, dafür viel schräge Gegenwart – gab es Filme, Performances, Ausstellungen und Talks. In Letzteren erläuterten Künstler ihr Konzept – Henrik Schwarz etwa seine „Plunderphonics“, eine Art Remix der Streichkonzerte, die den DJ und Musiker am meisten bewegten. Oder es wurde diskutiert, wie Pop und Gesellschaft einander beeinflussen: etwa wie „popkulturell die 68er waren“. Aber auch Gegenwärtiges war Thema: „The kids are alt-right“ hieß das Panel, bei dem über Rechtsruck und Popkultur diskutiert wurde.

Bei der gelebten Popkultur, also bei den Konzerten, bietet dieses so hochoffizielle Festival zum Glück so gar keine Realpolitik. Eher entwerfen die Kuratoren eine Utopie, wie die Welt sein könnte, wenn die richtigen Leute das Sagen hätten. Daran ändern auch die Störer der Anti-Israel-Lobby BDS nichts, die eine Diskussionsrunde über „Boycott“ kapern wollten.

Das Tolle, bisweilen auch Aberwitzige an diesem Festival sind die Gleichzeitigkeiten auf engem Raum. Während die Postpunk-Band Die Nerven kraftvoll die Gegenwart kommentiert, nimmt sich die Hamburger Avantpop-Songwriterin Sophia Kennedy in der eigens für das Festival entstandenen Auftragsarbeit „Sky Blue Cowgirl“ eine Jugend in Kentucky vor.

Zudem werden Diversität und Integration ernst genommen. Eine Geschlechterquote gab es bereits im vergangenen Jahr, diesmal stand das Thema Inklusion im Fokus. Sorgen, dass die Konzepthaftigkeit den Pop-Appeal der Veranstaltung erstickt, muss man sich aber nicht machen. Im lauschigen Hof ließen Besucher in der Nacht zu Freitag den berührenden Auftritt von Neneh Cherry nachhallen, sie wirkten einfach nur verzaubert. Auch das kann Popkultur leisten. Stephanie Grimm

kultur

Trial and Error aus der Not heraus

Massiver Lehrermangel an Berlins Schulen

Kurz vor den Ferien gibt es Zeugnisse, kurz vor Ende der Ferien nur ein Armutszeugnis. Das bekommt in der Regel die Schulsenatorin – für fehlende Lehrkräfte, kaputte Schulen, fehlendes Budget etc. In diesem Jahr fiel es besonders deutlich aus, weil der Lehrermangel besonders deutlich zu erkennen ist.

Zwar stellt Sandra ­Scheeres (SPD) zu Schulbeginn 2.700 neue Lehrkräfte ein. Aber nur 1.004 davon dürfen sich wirklich ausgebildete Lehrer nennen. 738 sind Quereinsteiger und absolvieren nebenbei ein Referendariat, 915 sind Lehrkräfte ohne volle Lehrbefähigung, kurz liebevoll LovL genannt. Sie haben immerhin irgendeinen akademischen Abschluss, alles Weitere ist flexibel. Starten dürfen die LovL mit einem Ein- oder Zweijahresvertrag. Und dann wird man sehen. Trial and Error, geboren aus der Not. Denn der Markt gibt einfach nicht genügend Pädagogen her – weder für Schulen noch für Kitas.

Berlin hat seit vielen Jahren und schon lange vor Scheeres’ Amtszeit große Schwierigkeiten, genügend Lehrer zu finden. Gründe dafür gibt es viele: Lange wurde zum Beispiel zu wenig ausgebildet und anschließend weniger gezahlt als in anderen Bundesländern. Viele gut gemeinte Reformen wie das jahrgangsübergreifende Lernen JüL sind deshalb weniger erfolgreich, als sie sein könnten.

Angesichts der vielen Quer- und Irgendwieanderseinsteiger greift die oppositionelle CDU zur derbsten Keule, die sie hat. „Es wird nur noch notdürftig geflickt, wo dringender Reformbedarf besteht“, mosert Hildegard Bentele, die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion – und fordert Scheeres’ Kopf. Zudem soll die SPD gleich auch noch das Bildungsressort, das sie seit Jahren verantwortet, abgeben.

Das ist natürlich wohlfeil, populistisch und auch politisch falsch. Rücktrittsforderungen an eine Senatorin sollte man klug abgewogen stellen, sonst verlieren sie ihre Wirkung. Schließlich hat auch die Union keine schlauen Konzepte auf Lager, wie sie den Lehrer- und Erziehermangel zügig beheben kann. Der CDU-Generalsekretär, eigentlich fürs Draufhauen zuständig, verkneift sich daher die Rücktrittsforderung.

Hinter dem schulpolitischen Dilemma steckt auch ein Strukturproblem: Während sich Prognosen über Schülerzahlen und Lehrermangel gern mal über mehr als eine Dekade erstrecken, denken Politiker wahltechnisch bedingt im Vier- oder Fünfjahresrhythmus. Nur wenigen gelingt es, in diesem Bereich langfristig erfolgreiche Politik zu machen. Scheeres gehört da nicht dazu, sie muss vor allem den Mangel verwalten und kann wenig eigene Akzente setzen. Aber das unterscheidet sie derzeit nicht von vielen anderen Bildungspolitikern. Bert Schulz

Kurz vor den Ferien gibt es Zeugnisse, kurz vor Ende der Ferien nur ein Armuts-zeugnis

Bert Schulz über den Mangel an gelernten Lehrern in Berlins Schulen

Machtlos in der Ablehnung

Brandenburg schiebt ab nach Afghanistan

Auf dem Münchner Flughafen wollte die Brandenburger Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (Linke) am Dienstagabend zu den Afghanen durchgelassen werden, die unmittelbar vor ihrer Abschiebung standen, darunter drei Männer aus ihrem Bundesland. Trotz hartnäckigem Argumentieren und Anrufen im Innenministerium kam sie nicht weiter. Am Ende demonstrierte Johlige mit einigen hundert solidarischen Menschen in der Innenstadt gegen die 15. Sammelabschiebung seit Ende 2016 in das Bürgerkriegsland. Verhindern konnten sie diese freilich nicht. 46 Menschen landeten schließlich am Mittwoch in Kabul, das am selben Tag von einem schweren Anschlag erschüttert wurde.

Johliges persönlicher Einsatz ist ehrenwert – und steht zugleich für die Machtlosigkeit der regierenden Linken. Obwohl die Partei bundesweit wie in der Mark Abschiebungen nach Afghanistan ablehnt, kann sie diese noch nicht einmal in einem von ihr mitregierten Bundesland verhindern. Schuld ist – wie eigentlich immer – die SPD. Das von ihr geführte Innenministerium unter Karl-Heinz Schröter hatte Anfang Juli einen Brief an die Kommunen und Ausländerbehörden verschickt und darüber informiert, dass der Bund „Rückführungen“ jetzt nicht mehr auf Gefährder und Straftäter beschränkt. Ein Hinweis, dass man die Einschätzung nicht teilt und daher weiterhin alle Möglichkeiten genutzt werden sollten, dies zu verhindern, fehlte.

Zumindest die Kommune Cottbus schien geradezu darauf gewartet zu haben und schickte zwei Männer zurück in den drohenden Tod, deren Asylverfahren noch nicht einmal formell abgeschlossen waren und die zudem unter massiven gesundheitlichen Problemen leiden. Der Fluchtgrund „Verfolgung durch die Taliban“ wurde bei einem Betroffenen als „offensichtlich unbegründet“ abgewiesen. Es sind Abschiebungen ohne jegliches menschliche Gewissen. Womöglich passierten sie auch deshalb, weil die in der Stadt regierende CDU nicht zu viel Boden an die AfD verlieren will, die von den rassistischen Protesten in den vergangenen Monaten massiv profitiert.

Das Innenministerium duckt sich weg, die Kommunen können den Ball problemlos zurückspielen, die Linke kann hilflos appellieren. Oder mit der Faust auf den Koalitionstisch hauen, bis dieser knackst. Genau das wäre die notwendige Reaktion. Nur die könnte den 374 formal ausreisepflichtigen Afghanen in Brandenburg wieder ein bisschen Sicherheit zurückgeben. Erik Peter