Jasmin Ramadan
Einfach gesagt
: Es ist doch egal, wie viele Punkte ein Marienkäfer hat

Foto: Roberta Sant'anna

Ach, guck mal hier, das ist doch einer dieser punktestarken asiatischen Marienkäfer, die rotten unser heimisches Marienkäfervolk langsam, aber sicher aus!“ sagte der ältere Herr zu seiner Frau. Sie saßen am Weiher und die Frau besah das Tierchen auf seiner Fingerkuppe.

„Ach, Manfred, es ist doch egal, wie viele Punkte so ein Käfer hat.“

„Nee Linde, das finde ich nicht, und es geht ja auch nicht nur um die Punkte.“

„Worum denn?“

„Die Viecher sind regelrechte Biowaffen, die kopulieren das ganze Jahr über und haben ein inneres Gift, das unseren deutschen Glückskäfer umbringt, wenn der einen von den Asiaten frisst!“

„Marienkäfer fressen sich gegenseitig? Das ist ja abnorm.“

„Nee, so ist die Natur eben, Linde, das ist natürliche Dezimierung – aber wenn der Asiate einen der unsrigen vertilgt, ist der satt, aber nicht tot. Das ist unlauterer Wettbewerb. Das kommt von der Aufhebung der natürlichen Grenzen. Durch die Arteninvasionen gerät alles aus den Fugen auf der Welt, Linde!“

„Ach Manfred, das kann uns doch egal sein, wir sind doch sowieso nicht mehr lange da, egal wie viele Punkte die Marienkäfer haben.“

„Aber ich will auch für Folgegenerationen sichergestellt wissen, dass die natürlichen Grenzen als Barrieren bleiben!“

„Was für natürliche Grenzen?“

„Gewässer zum Beispiel! Irgendwann hat sich mal so ein Rattenpärchen an einem Stück Holz festgekrallt und dann die Pest in Europa verbreitet. Millionen Tote gab das, Linde.“

„Ach Manfred, das ist doch schon so lange her, Europa hat sich davon doch erholt – und es kommen ja nicht nur kranke Ratten.“

„Nee Linde, da hast du die rosarote Brille auf. Du isst sonntags doch so gerne Sprotten auf deinem Pumpernickel – und die nordamerikanische Rippenqualle ist gerade dabei, die Sprotten auszurotten.“

„Na und, dann esse ich in Zukunft eben andere kleine Fische.“

„Ja, aber bald gibt es auch deine geliebten Singvögeln nicht mehr, weil der Waschbär aus Amerika sie alle frisst, bevor sie flügge werden.“

„Ach Manfred, man kann doch nichts dagegen tun, wenn sich alles neu sortiert. Die schnuckeligen Waschbären werden schon nicht alle Vögel aufessen, ich glaub, da steigerst du dich in was rein.“

„Nee, Linde, fremdes Getier hat immer Nachteile für die nationale Fauna. Jegliche Biomasse soll in ihrem ursprünglichen Terrain vor sich hin krebsen und krabbeln.“

„Ach, Manfred, ich glaub, du hast schon wieder zu niedrigen Blutzucker, soll ich dir mal ’ne Heiße Schokolade aus dem Café holen?“

„Du nimmst mich wie immer nicht zur Genüge ernst, Linde.“

„Ich verstehe nicht, was dich so ängstigt.“

„Angst!? Ich habe doch keine Angst! Ich bestehe nur auf meine angestammten Vorteile. Das ist mein gutes Recht. In Nordeuropa gibt es einfach keine bösen Insekten, von deren Stichen man tot umfallen kann und ich will, dass das so bleibt, dass ich mich zumindest zu Hause nicht einsprühen muss.“

Sie legte einen Arm um ihn und sagte:

„Sterben werden wir so oder so bald, auch ohne exotische Mückenstiche.“

„Ja, Linde, aber hoffentlich erst nach unserer Karibik-Kreuzfahrt.“