Moderne Wunderwelten

Zeitgenössische Kunst soll die Dauerausstellung im Braunschweiger Herzog-Anton-Ulrich-Museum aufpeppen: Zu sehen ist dort jetzt Kurioses aus der Sammlung Reydan Weiss

Immer in Vitrinen, immer mit Federn bestückt: Viele Arbeiten der Britin Kate MccGwire zeigen verschlungene Kreaturen, hier „Yearn“ aus dem Jahr 2011 Foto: Eduardo Leal

Von Bettina Maria Brosowsky

Die altehrwürdigen kunstgeschichtlichen Museen haben es nicht leicht. Sind einmal ihre Schätze an die Wände gehängt oder in Vitrinen verstaut, tut sich meist für lange Jahre nichts an diesen Präsentationen. Die Dauerausstellungen werden bleiern und ermüdend. Manch großes Haus, wie das Kunsthistorische Museum Wien, das eigentlich nicht über ein erodierendes Publikumsinteresse klagen kann, tritt seit einigen Jahren dieser Situation entgegen.

Dort wurde ein eigener Kurator verpflichtet, der zyklisch moderne und zeitgenössische Kunst in die hehren Hallen streuselt. Allroundkünstler Jan Fabre etwa verstellte einmal mit seinen riesigen blauen Kugelschreiberbildern einige nicht minder gigantische Meisterwerke des Hauses.

Ähnliches, wenngleich mit bescheidenen Mitteln, versucht das Braunschweiger Herzog-Anton-Ulrich-Museum seit seiner Neuaufstellung 2016. „Intervention – Raum für junge Kunst“ heißt das Programm, das im Scheitelpunkt der Raumfolge kunsthandwerklicher Sammlungen des Hauses verortet ist.

Vor und nach diesem Raum mäandert man durch Labyrinthe aus Vitrinen mit Majolika, Silberwaren, ethnografischen und naturwissenschaftlichen Kuriositäten oder Skulpturen. Und spürt in diesem Teil des Museums noch ein wenig den Geist der Schatz- und Wunderkammern vormaliger Herrscherhäuser, den Vorläufern musealen Sammelns heutigen Verständnisses.

Ohne platte Analogie zur historischen Wunderkammer lädt das Arrangement zum Staunen und Sich-Versenken ein

Derzeit zeigt die Sammlerin Reydan Weiss in diesem Raum 16 auch mehrteilige Arbeiten aus ihrem Bestand. Vor zwei Jahren war ihre Sammlung mit gut 100 Bildern, Skulpturen und Videoarbeiten zum 25-jährigen Jubiläum der Bremer Weserburg umfassend im Norden zu sehen. Und fiel damals, und tut dies im Extrakt erneut, durch die unverstellte Leidenschaft auf, Kunst, Kuriositäten und Exotisches zusammenzutragen, vor allem: damit auch zu Hause zu leben.

Reydan Weiss wurde in Istanbul geboren, ging in Jordanien und Jerusalem zur Schule und kam 1967 nach München, wo sie ihren Mann, den 2016 verstorbenen Immobilienentwickler Ralf Roger Weiss, kennenlernte, der mit Verwaltungsbauten und innerstädtischen Einkaufszentren ein immenses Vermögen erwirtschaftete.

Aber es ist nicht der gut ausgestattete finanzielle Hintergrund, der den besonderen Charakter von WeissSammlung ausmacht, sondern die sicherlich biografisch geprägte Offenheit gegenüber allem Fremden, auch Abwegigem, künstlerisch Unbekanntem, eine ästhetische Vorliebe bis hart an den Kitsch. Weiss begann 1984 sich intensiver für Kunst zu interessieren, erst im Kontext der Profession ihres Mannes, etwa fürs Foyer seiner Immobilien. Seit 20 Jahren lässt sie sich von dem freien Kurator Wolfgang Schoppmann beraten, wie weitere private Sammler.

Beide erzählen, wie manchmal „auf Zuruf“ eine Arbeit erstanden wird. Schoppmann schickt etwa ein Handy-Foto, unterwegs in Galerien, sie erteilt, so es gefällt, umgehend Order. Reydan Weiss kann sich aber auch von Werken trennen, wenn sich ein Interesse verschiebt. So verkaufte sie etwa Arbeiten von Otto Piene wieder – und staunte dann 2014 bei dessen Retrospektive in der Berliner Nationalgalerie über sein Lebenswerk.

Kuriositäten und Exotisches: Die Objekte aus der Sammlung Reydan Weiss verweisen auf kunsthistorische Topoi der Museumssammlung Foto: C. Cordes, Herzog-Anton-Ulrich-Museum

Ohne platte Analogie zur historischen Wunderkammer lädt das Braunschweiger Arrangement nun zum Staunen und Sich-Versenken ein, soll natürlich auch auf kunsthistorische Topoi der Museumssammlung verweisen. Da steht etwa der zementgrau abstrahierte „Vanitas Table“ des Belgiers Hans op den Beeck, im Hintergrund begleitet von fotografischen Stillleben der deutsch-US-amerkianischen Fotografin Evelyn Hofers. Auf tiefschwarzem Fond versammeln sich augenfällig die Insignien niederländisch barocker Malerei, so angeschnittene Früchte, Allegorien der Vergänglichkeit alles Irdischen.

Gespenstischer sind die Viktualien auf den düsteren Fotografien des Briten Mat Collishaw: Es sind nachgestellte und delikat arrangierte, aber authentische Henkersmahlzeiten von tatsächlich in den USA Hingerichteten, darunter auch ein Unschuldiger, der nur eine Widerspruchsfrist verpasste. Objekte aus Federn oder Mäuse­skeletten, auch ein hybrides Tierpräparat aus Küken und Maulwurf spielen auf die naturphänomenologische Motivwelt der Kunst an, das naturalistische Bouquet aus feinster italienischer Keramik auf die unzähligen Blumenstillleben in kunsthistorischen Sammlungen.

Fetische und exotisch surreale Figuren bevölkern in- und außerhalb eines Wunderkammerschrankes die Ausstellung. Leben und Tod, blühende Schönheit neben der Ästhetik des Verfalls und der Vergänglichkeit – dieser immerwährende Kanon traditionellen Kunstschaffens lässt sich hier einmal trefflich und anschaulich nachvollziehen. Klassische Sichtweisen erweitern möchte diese Kunst aber nicht.

Bis zum 16. September im Herzog Anton Ulrich Museum Braunschweig, gratis Booklet