Empowerment in Oslo

Idylle im Norden: Das Øya Festival ist bio und feministisch eingestellt. Vor allem Bands unter weiblicher Führung begeisterten beim größten norwegischen Popfestival

Funk-Rockerin: St Vincent Foto: Øyafestivalen/Pål Bellis

Von Jan Paersch

Donnerstagabend im Norden Oslos. 27°C, ein leichter Wind geht über die Bäume im Tøyenpark. Wer einen der vielen Hügel des ehemaligen Steinbruchs erklimmt, erkennt im Hintergrund die Silhouette der norwegischen Hauptstadt, auch die Holmenkollen-Skisprungschanze zeichnet sich gegen die untergehende Sonne ab. Die Idylle stört bloß der infernalische Lärm, der von vier furchterregend geschminkten Musikern im schwarzen Fetzenlook ausgeht. Die polnische Death-Metal-Band Behemoth ist eher nicht repräsentativ für die musikalische Vielfalt des Øya Festivals.

Auf dem Festivalplakat: etliche bekannte Namen, derzeit unterwegs in ganz Europa. Dennoch wirkt das Programm handverlesen und nicht auf eine breite Masse zugeschnitten wie Hurricane, Rock am Ring & Co. In der derzeitigen Pop-Szene gehören Arctic Monkeys, Lykke Li, Fever Ray und Arcade Fire zu den wichtigsten Künstlern, die man einst als „Indie“ bezeichnete.

20.000 BesucherInnen, vorwiegend Norweger, feiern ein eklektisches Line-up zwischen Rock, Electro, HipHop und Singer/Songwriter-Klängen, komplettiert durch norwegische Newcomer und VeteranInnen wie Trail of Dead, Patti Smith und Tangerine Dream.

Eine Band wie besagte Behemoth ist da mehr ein Lückenfüller, am Donnerstagabend interessiert sich kaum jemand für Metal. Die riesige LED-Wand auf der Hauptbühne verkündet die Ankunft von „Kung Fu Kenny“. Flammenwerfer speien, abgrundtiefe Bässe bollern: Auftritt Kendrick Lamar. Der 31-jährige US-Amerikaner ist der derzeit wohl gefragteste Rapper des Planeten, nicht zuletzt aufgrund seiner Texte, in denen er Depressionen, Rassismus und Polizeigewalt thematisiert. Dafür gab es im April den Pulitzerpreis für Musik – zum ersten Mal für einen HipHop-Künstler. „Pulitzer Kenny“ flackert es hinter Lamar auf, dann setzt er zu einem seiner schwindelerregenden Raps an, deren Flow atemberaubend ist. Für Lamar interessieren sich selbst Rap-Ignoranten, das verdeutlicht der enorme Andrang.

Mit ihrer famosen Single „Glu“ begehren Fiehgegen die Bevormundung durch alte Säcke in der Musikindustrie auf

Zum 20. Mal findet das mittlerweile größte norwegische Festival in Oslo statt, doch um dieses Jubiläum macht man kein großes Gewese. Lieber redet Gründer und Booking-Chef Claes Olsen über das Bestreben der Øya-Crew, eines der grünsten Festivals der Welt zu sein. 90 Prozent des Essens ist bio, es sind einige der hippsten jungen Restaurants der Stadt vertreten. „Vor zehn Jahren wurde ich dafür von anderen Festival-Veranstaltern in Diskussionsrunden noch ausgelacht“, sagt Claes Olsen über das Verköstigungsangebot zwischen Veggie-Burger und Falafel-Waffel.

Obendrein hat das Øya Festival schon etliche Preise für seine vorbildliche Entsorgungspolitik bekommen. 75 Prozent der Abfälle werden recycelt, der Rest für ein Heizkraftwerk verwendet. Und wer sich am Rockzipfel gezupft fühlt, wird keineswegs gerade von einer herabfallenden Alkoholleiche mit auf die blitzsaubere Wiese gezogen. Es sind bloß die herumwuselnden Kinder, die sich mit dem Einsammeln der Trinkgefäße eine Krone pro Plastikbecher verdienen.

In der Tat liegt hier kaum Müll auf dem Boden, nicht einmal Kippen, was auch daran liegen könnte, dass eine Packung Zigaretten im Nicht-EU-Land Norwegen mittlerweile umgerechnet 16 Euro kostet. Happig auch die Preise auf dem Gelände, zumindest für Nicht-Skandinavier: 300 Euro kostet ein Viertagesticket, dazu kommen Ausgaben für Bier (9 Euro) und Essen (zumeist ab 10 Euro). Dafür bekommen die BesucherInnen ein perfekt organisiertes Programm mit fast nur spielfreudigen KünstlerInnen. Auffällig: Während männliche Rockbands wie Grizzly Bear und Arctic Monkeys routiniert bis gelangweilt wirkende Sets herunterspulen, wissen die Frauen zu begeistern.

Queer-feministischer Electro-Pop

Sofie Tollefsbøl, Sängerin der Band Fieh Foto: Øyafestivalen/Maja Brenna

Zum Beispiel Fieh, die neunköpfige Band der 23 Jahre alten Sängerin Sofie Tollefsbøl. Ihr zackiger Jazz-Funk hat genug Party-Elemente, um am frühen Nachmittag Tausende junge NorwegerInnen zum Tanzen zu bringen. In ihrer famosen Single „Glu“ begehrt sie gegen die Bevormundung durch alte Säcke in der Musikindustrie auf: „All these old men can’t tell me what to do.“

Weibliches Empowerment auch auf schwedischer Seite. Karin Dreijer alias Fever Ray entzieht sich mit ihrer fünfköpfigen Band jeglichen normativen Sexyness-Vorstellungen. Wie ein fieser Joker hat Dreijer sich das Gesicht verschminkt, ihre beeindruckenden Mittänzerinnen kommen in unförmigen Superhelden-Kostümen daher. Ihr neumondschwarzer queer-feministischer Electro-Pop wird zu Recht in ohrenbetäubender Lautstärke bejubelt, ebenso wie der virtuose elektronische Funkrock von St. Vincent. Bei Annie Clarke sind es eher die Männer, die verunstaltet werden: Ihrer Band hat die US-Künstlerin das Tragen von Strumpfmasken und hässlichen blonden Perücken auferlegt.

„Es hilft nichts, über fehlende weibliche Impulse zu lamentieren. Was wir brauchen, sind Vorbilder“, sagt Festival-Gründer Olsen. Mit seinem Øya Festival hat er einen respektablen Beitrag für künftiges weibliches Empowerment auf Rockkonzerten geleistet.