Die Erste auf dem Ponyhof

Die Bremerin Manuela Rusch ist Aufnahmeleiterin bei Film und Fernsehen. Sie muss beim Dreh alles sehen, lenken und richten. Wenn sie ihre Arbeit gut macht – sieht man sie gar nicht

Alles muss reibungslos laufen – ohne Hetzerei: Manuela Rusch (gelbes Shirt) braucht eine ruhige Hand Foto: Pinguin Studios

Von Wilfried Hippen

Auf sie hören bei Dreharbeiten alle. Und nicht etwa auf die Regisseur*innen. Die sagen in der Regel nur ihr „Und bitte“, wenn die Aufnahme beginnt (in Deutschland ruft kaum einer „Action“). Und zum Schluss dann: „danke“ oder „abgebrochen“. Doch alle anderen Anweisungen vor und nach solch einem Take kommen von den Aufnahmeleiter*innen, die für die Organisation der Dreharbeiten verantwortlich sind. Und weil das Drehen eines Films ein komplexer Arbeitsprozess ist, ballt sich bei der Aufnahmeleitung alles Wissen um den Dreh.

Manuela Rusch macht diese Arbeit seit 12 Jahren. Und das bedeutet in der Regel: 14 Stunden Arbeit pro Tag und dabei ständig höchste Konzentration. Rusch ist eine der Ersten am Set, fährt mit einem Auto des Fuhrparks dorthin und beginnt den Tag damit, die Kabel für die Technik zu verlegen. Davon, dass dies ein Knochenjob ist, künden zwei Bandscheibenvorfälle, denn sie ist die ganze Zeit auf den Beinen.

Rusch muss, wie sie sagt, „allen ihre Zeit geben, aber gleichzeitig auch nicht“. Sie sorgt dafür, dass alles schnell und reibungslos läuft, ohne dass jemand das Gefühl bekommt, gehetzt zu werden; auch dafür, dass alle genug zu essen und zu trinken haben, ist sie verantwortlich. Und wenn einer mal schlechte Laune hat, muss sie bei ihm den richtigen Ton finden.

Bei Dreharbeiten müssen alle Gewerke präzise aufeinander abgestimmt sein. Die Darsteller, Maske und Kostüm, Licht, Ton, Kamera – alles muss auf den Punkt genau funktionieren. Es darf keine störenden Geräusche geben und niemand darf ins Bild laufen. Irgendwas geht dann meistens doch schief und die Aufnahme muss wiederholt werden, ohne dass die Konzentration am Set nachlässt.

Für all das ist die Setaufnahmeleiterin verantwortlich, und wenn sie ihre Arbeit gut macht – dann bleibt sie unsichtbar. Bei den anderen Gewerken kann ein Laie zumindest sehen oder hören, woraus etwa die Arbeit einer Kostümbildnerin, eines Kameramanns, eines Tonmeisters oder einer Statistin besteht. Aber wie gut ein Aufnahmeleiter ist, erkennt nur das Team.

Für Manuela Rusch sind Dreharbeiten eine organisatorische Herausforderung. Deshalb ist es für sie im Grunde auch nicht so wichtig, ob ein Film, an dem sie mitgearbeitet hat, dann beim Publikum gut ankommt oder durchfällt: „Das Ergebnis ist mir egal.“ Natürlich ist sie stolz darauf, dass sie bei der internationalen Produktion „The Square“ mitgearbeitet hat, die 2017 die Goldene Palme in Cannes gewonnen hat.

Und von diesen Dreharbeiten kann sie auch ein paar schöne Geschichten erzählen. Wie etwa jene von dem trainierten Menschenaffen aus Frankreich, den sie an die Hand nahm und mit ihm zum Drehort spazierte. Aber wichtiger ist es Rusch, wenn sie intensiv für die Wochen eines Drehs mit Kolleg*innen zusammen ist, die gerne miteinander arbeiten. Das nennt sie dann einen „Ponyhof“.

Rusch wollte unbedingt beim Film oder Fernsehen arbeiten. Die Bremerin studierte Kunstwissenschaften und Soziologie mit dem Schwerpunkt Filmwissenschaften, machte ein Praktikum am Bremer Theater am Goetheplatz. Ein befreundeter Fotograf stellte sie dem Aufnahmeleiter der Bremer „Tatorte“ vor. Eine Woche später war Rusch Setassistentin und nach einem Jahr dann selber Aufnahmenleiterin. Neben vielen Tatorten arbeitete sie für die Krimiserie „Jack Taylor“, mit dem Regisseur Eike Besuden sowie bei den Kinoproduktionen „Freistatt“ und „Die Hände meiner Mutter“.

Seit 2014 wird Rusch bei einigen Produktionen auch als erste Aufnahmeleiterin beschäftigt, seit 2016 als Regieassistentin. Bei kleineren Produktionen wie Kurzfilmen, bei denen sie für die Spielszenen verantwortlich ist, übernimmt sie alle drei Funktionen. Aber meist sind die Aufgabenbereiche streng getrennt.

Bei den anderen Gewerken kann ein Laie die Arbeit sehen oder hören. Wie gut eine Aufnahmeleiterin ist, erkennt nur das Team

Als erste Aufnahmeleiterin beginnt Rusch sechs Wochen vor Drehbeginn mit der Arbeit und organisiert die Logistik der Dreharbeiten. Zusammen mit dem Produktionsleiter erstellt sie den Drehplan, in dem festgelegt wird, welche Szenen an welchem Tag an welchem Motiv gedreht werden. Sie organisiert den Fuhrpark mit den Wohnmobilen, Fahrzeugen für die Technik und dem Cateringtruck.

Als Regieassistentin vermittelt Rusch die kreativen Entscheidungen des Regisseurs an das technische Filmteam. Sie hat den Überblick, was für jede einzelne Aufnahme benötigt wird, wie etwa das Licht gesetzt, ob für eine Einstellung ein Kran benötigt oder Gleise für eine Fahrt verlegt werden müssen. Sie gibt die entsprechenden Anweisungen an den Aufnahmeleiter, ist also am Set dessen Vorgesetzte.

Als Set-Aufnahmeleiterin wird Manuela Rusch pro Drehtag bezahlt, bei einer Fernsehserie eine Woche und bei einem Kinofilm fünf Wochen lang. Engagiert wird sie in der Regel drei Monate vor Drehbeginn, aber es kommt vor, dass sie mit nur zwei Tagen Vorlauf einspringt, wegen Krankheit etwa oder weil bei einer Produktion „alles schiefläuft“. Meist kommt sie am ersten Drehtag ohne Vorbereitung ans Set und muss sich extrem schnell einarbeiten. Pro Jahr arbeitet sie an neun bis zwölf Filmen – zwischen den Jobs meldet sie sich arbeitslos.

Inzwischen hat Rusch sich in der Branche einen Namen gemacht, sie muss mehr Angebote ablehnen, als sie annehmen kann. Ihr Traumberuf ist es immer noch: „Es ist toll, an welche Orte du kommst und wie du Leute auf einer ganz anderen Ebene triffst, weil du mit ihnen an einem Films arbeitest. Alle haben Bock auf Dich.“