Ein Stopp im südlichen Rhonetal: Kräutergarten der Provence

An La Garde-Adhémar fahren die meisten vorbei – zum Glück für die wenigen, die anhalten. Es ist eines der schönsten Dörfer Frankreichs.

Blick von oben auf einen Kräutergarten

Der Kräutergarten von La Garde-Adhémar Foto: Wikipedia/Vikingenergy (CC BY-SA 3.0)

Wer durch das südliche Rhonetal fährt, egal ob mit der Bahn oder mit dem Auto, der erhascht vielleicht einen Blick auf das exponierte Bergdorf über dem linken Ufer des hier bereits recht breiten Flusses. Keck und dominiert von einer stattlichen Kirche, sitzt das mittelalterliche Ensemble auf dem oberen Ende eines steil abfallenden Kamms. Der Name weist die ursprüngliche Funktion des Ortes aus: La Garde-Adhémar, der Wachposten der Familie Adhémar. Dieses Adelsgeschlecht gab auch dem nahen Montélimar seinen Namen, der Hügel der Adhémars, bekannt als Nougatstadt.

An La Garde-Adhémar reisen oder vielmehr rasen die allermeisten Touristen vorbei, ohne haltzumachen. Zum Glück für die paar wenigen, die den steilen Weg hoch zu dem Adlernest nehmen. Die mächtige Außenmauer wirkt abweisend, wie es sich für ein Wehrdorf gehört. Bis ins 19. Jahrhundert hatte man nur durch zwei Pforten Zutritt, die Port d’Amont im Norden und die Porte de la Fontaine im Südosten. Letztere ist gleich neben dem einzigen Brunnen, der außerhalb der Mauer liegt und wo sich die Bewohner mit frischem Wasser versorgten.

Ist man aber erst einmal im Inneren der rund angelegten Siedlung angekommen, fühlt man sich nicht nur geborgen, sondern auch der Welt enthoben. Bis auf ein paar grellbunte Sonnenschirme vor dem Lokal Absinth scheint sich hier seit dem Mittelalter nicht viel verändert zu haben. Auffällig ist der achteckige Glockenturm der romanischen Kirche St. Michel, der im 14 Jahrhundert aufgestockt wurde. Wie bei vielen Kirchen der Provence befinden sich in der Nordwand keine Fensteröffnungen wegen des Mistrals, der oft eisig ist und nicht selten Sturmstärke erreicht. Seltsam ist der kleine Nymphen­altar im Eingangsbereich.

Direkt vor der Apsis steht man nun auf der westlichen, senkrecht abfallenden und sich mit dem Fels verbindenden Mauer. Von der Brüstung aus sieht man hinab auf weitläufige Terrassen, die an den Fuß der Mauer grenzen und auf denen sich großflächig bunt blühende Ornamente mit streng grafischen Mustern ausbreiten. Es ist der „Jardin des Herbes“, der Garten der Kräuter, den die Gemeinde 1990 hier anlegen ließ.

Ein duftendes Pflanzenmosaik

„Jardin ouvert – entrée libre“ steht auf dem Blechschild an dem zierlichen Eisentor, Garten geöffnet – Eintritt frei. Das Gatter klemmt zwar, gibt aber nach einigem Rütteln dann doch den Weg frei. Über grob gehauene Stufen geht es hinab zu dem duftenden Pflanzenmosaik, das zusammengefügt ist aus unzähligen, mit niedrigen Buchshecken akribisch eingefassten Beeten. Zwischen allen Segmenten erlauben winzige Wege den direkten Zugang zu den sorgfältig mit Namensschildchen versehenen Blumen und Kräutern wie Lavendel, Thymian und Salbei – von dem zählt man hier zwanzig verschiedenen Sorten! Insgesamt sind es über vierhundert Heilpflanzen und Küchenkräuter, die im Jardin des ­Herbes entdeckt werden wollen.

Die erste Terrasse ist eine Art Ur-Apotheke. Hier versammelt Da­nielle Acucci, die Gestalterin der Anlage, die medizinischen Pflanzen und präsentiert sie in rautenförmigen und dazwischen dreieckigen Beeten. All die Heilpflanzen sind nach ihrer Wirkweise angeordnet, wie eine übersichtliche Tafel informiert. So simpel wie genial ist hierbei der code couleur, der die einzelnen Bereiche aufschlüsselt: Die verschiedenen Farben der Schildchen symbolisieren jeweils Organe. Es gibt also eine Gruppe, die den Atemwegen guttut, eine andere dient der Stärkung der Nerven, für Leben und Galle gibt es eine Abteilung, ebenso für Herz und Kreislauf und eine für Magen und Darm. Entwurmungspflanzen können auch studiert werden.

Rosenlauben ranken hinten an der Mauer zum Berg, vorne geht es wieder steil bergab zu weiteren, sicher uralten Terrassen, teils aufgelassen, teils mit Weinstöcken bepflanzt, teils anderweitig landwirtschaftlich genutzt. Zwischen den beiden Hauptebenen des Gartens, der sich im Sommer sehr aufheizen kann, bietet ein mit Bäumen und Büschen bestandener Übergang erholsamen Schatten. Frische spenden an diesem lauschigen Plätzchen zudem die sanft plätschernden Rinnsale, die zuerst die an der Felswand wachsenden Moose benetzen, bevor sie in ein steinernes Becken fallen, in dem ein paar Wasserpflanzen gedeihen. In den kleinen Einbuchtungen des Felsens über dem kühlenden Brunnen verschlafen Tauben die brütende Mittagshitze.

Le Jardin des Herbes, 26700 La Garde-­Adhémar, täglich geöffnet, Führungen organisiert das Tourismusbüro von La Garde-Adhémar, www.la-garde-adhemar-ot.org, Tel. +33-4 75 04 40 10

Weitere Stufen führen auf die zweite, tiefer liegende Terrasse. Hier ist das Prunkstück des Gartens. Eine asymmetrisch platzierte Rosette, wiederum zusammengefügt aus akkurat mit Buchs eingefassten Beeten, erstreckt sich strahlenförmig über die ganze Ebene. In den Karrees wachsen kräftig blühende Pflanzen, die kontrastreich aufeinander abgestimmt sind. Beinwell ist dabei, Schafgarbe und Heiligenkraut. Kein Mensch außer uns ist da. Nur eine Katze rekelt sich zwischen Blumenpracht und Grün.

Ein Atomkraftwerk in Sichtweite

Weit unten im Tal fließt die von Montélimar herkommende Rhone, daneben ihr parallel verlaufender Kanal. Das Wasser beider glitzert herauf. Ein TGV, ein französischer Hochgeschwindigkeitszug, zischt auf seiner direkt neben dem Kanal verlaufenden Trasse vorbei. Wie Spielzeuge schieben sich zahllose Lastwagen auf der ebenfalls pa­ral­lel verlaufenden Autobahn vorwärts. Gegenüber, auf der anderen Seite des Tals, erheben sich die Berge der Ardèche. Nicht zu übersehen sind allerdings auch die Kühltürme der nahen Nuklearanlage Tricastin, einer der größten der Welt.

La Garde-Adhémar, das auf einem Kalkplateau erbaut ist, genießt die offizielle Auszeichnung, zu den schönsten Dörfern Frankreichs gezählt zu werden. Es gehört zum südlichsten, bereits provenzalischen Teil des Departements Drôme. Nicht erst seit der Adhémar-Dynastie war dieser Platz von strategischer Bedeutung. Bereits für die Römer war das Rhonetal, insbesondere die fast kerzengerade Nord-Süd-Achse ab Lyon eine immens wichtige Route. Überreste der bis nach Marseille führenden Via Agrippa kann man noch am Fuß des Hügels unterhalb von La Garde finden.

Bergabwärts in Richtung Osten, etwa anderthalb Kilometer entfernt, kommt man in das Val des Nymphes, ins Tal der Nymphen. Zwischen trockenen KalkhügeIn stößt man auf eine Aue mit saftigen Wiesen und Obstbäumen. Um die Quelle, die hier entspringt, bestand zwischen dem 5. und dem 12. Jahrhundert eine bedeutende Siedlung, wie man archäologisch nachweisen konnte. Man vermutet, dass das Dorf im Tal damals wegen eines Sarazenen-Einfalls aufgegeben wurde und seine Bewohner auf den steinigen Bergrücken flohen. Von den insgesamt vier sehr kleinen Kirchlein ist Notre-Dame erhalten. Den Nymphenaltar, der oben in St. Michel von La Garde-Adhémar aufbewahrt wird, hat man in der Nähe der Quelle gefunden.

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