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Vom Depot in den Diskurs

In den Lagern und Archiven vieler Museen schlummern unbekannte Schätze – verstärkt werden sie im Internet präsentiert. Kommen dadurch weniger Besucher in die Museen?

Zum Teil werden Sammlungen auch in Schaudepots zugänglich gemacht – hier etwa Skulpturen im Dresdener Albertinum Foto: Peter Hirth/laif

Von Joachim Göres

Die mehr als 7.000 deutschen Museen können nur einen Bruchteil ihrer gesammelten Schätze den Besuchern präsentieren – wegen des begrenzten Platzes schlummern die meisten Gegenstände im Depot. Mittlerweile gehen vor allem größere Ausstellungshäuser dazu über, immer mehr ihrer verborgenen Kostbarkeiten im Internet zu zeigen.

Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe setzt auf die Onlinepräsentation von Teilen seiner Sammlung – auf der Homepage www.mkg.de finden sich mehr als 12.000 Objekte. Sie können kostenlos heruntergeladen und nach Belieben genutzt werden. „Innerhalb von zwei Jahren hatten wir 55.000 Downloads und haben Nutzer aus 112 Ländern erreicht. Das erhöht unsere Reichweite und internationale Relevanz“, sagt Marketingleiterin Silke Oldenburg.

Das digitale Angebot des Museums umfasst unter anderen eine App zur Musikinstrumentensammlung, ein Jugendstil-Web-Journal, ein Podcast-Angebot sowie der Onlinezugang zu einigen Ausstellungen, die vorher im Museum zu sehen waren wie „Fast Fashion. Die Schattenseiten der Mode“ von 2015, zu der es auch noch spezielle Materialien für Schulklassen über das Internet gibt. Für die Besucher vor Ort wurde die App „Im Sog der Zeit“ entwickelt, mit deren Hilfe man beim Rundgang im Museum über ein Smartphone – das eigene oder ein geliehenes – neben Informationen auch für jeden Raum über Kopfhörer einen besonderen Raumklang eingespielt bekommt.

Trend zu Schaudepots

„Es geht auch darum, so diejenigen zu erreichen, die uns nicht besuchen“, so Pia Müller-Tamm, Direktorin der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe (www.kunsthalle-karlsruhe.de). Nach einer Vorgabe des Stuttgarter Finanzministeriums müssen bis 2020 alle 100.000 Objekte digital erfasst sein. Teile der Abteilungen Malerei und Skulpturen sind schon heute digital für die Öffentlichkeit zugänglich. „Durch die Digitalisierung bekommen wir mehr denn je internationale Leihanfragen. Unser Ziel ist es, durch das Internet weltweit Interessenten zu finden“, sagt Müller-Tamm.

In den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (www.skd.de) ist von den mehr als 2,5 Millionen Objekten etwa die Hälfte in der Datenbank verzeichnet. „100.000 Sammlungsstücke sind über das Internet zugänglich, das soll mehr werden. Durch diese starke Onlinepräsenz erhoffen wir uns mehr Besucher“, sagt der Historiker Jan Hüsgen. Teile des Lagers werden auch durch das Schaudepot der Skulpturensammlung zugänglich gemacht, das seit 2010 besteht. „Immer mehr Museen richten solche Schaudepots ein oder bieten Führungen durch die Depots an“, sagt Sebastian Giesen von der Hermann Reemtsma Stiftung.

Viele Museen und Archive machen ihren Bestand über einen Onlinekatalog Wissenschaftlern für ihre Forschungsarbeiten zugänglich. Die Akademie der Künste Berlin geht jetzt einen Schritt weiter: Ab Dezember findet sich unter www.heartfield.adk.de der künstlerische Nachlass des für seine Fotomontagen berühmten John Heartfield, wobei neben den Abbildungen auch grundlegende Informationen zur Einordnung und zur Bedeutung seines grafischen Werks sowie Verknüpfungen zu anderen Arbeiten kostenlos angeboten werden. Dabei können Alternativ-Entwürfe vergleichend betrachtet und mit einer Zoomfunktion Objekte sehr genau unter die Lupe genommen werden. Das Motto: vom Depot in den Diskurs.

Eine wesentliche Grundbedingung für die Präsentation der Sammlungen aus den Depots ist ihre sachgemäße Lagerung. In vielen Museumsdepots gehören dagegen schlechte Belüftung, keine genaue Erfassung der Sammlungsstücke, zu wenig Platz sowie fehlende ExpertInnen, die sich um das Lager kümmern, zum Alltag. Das Bündnis „Kunst auf Lager“, dem 13 Stiftungen und das Bundesbildungsministerium angehören, hat mehr als 230 Projekte mit 23 Millionen Euro gefördert (www.kunst-auf-lager.de), wodurch unter anderem Depotneubauten möglich wurden. (jg)

„Damit wollen wir die Forschung international beleben, aber auch Laien erreichen, die Heartfield noch nicht kennen“, sagt Anna Schultz von der Akademie der Künste. Ab Ende 2019 bietet die Akademie zudem eine virtuelle Ausstellung mit 100 Objekten wie etwa Briefe an, die Auskunft über Heartfields Beziehung zu anderen Künstlern geben will.

Ist das nicht eine Konkurrenz zum John-Heartfield-Haus im brandenburgischen Waldsieversdorf, wo im einstigen Wohnhaus ein Museum mit Werken des Künstlers eingerichtet wurde? „Im Gegenteil, wir arbeiten mit dem dortigen Freundeskreis eng zusammen, der darauf setzt, dass durch die erhöhte Internetpräsenz auch das Interesse an dem Museum wächst“, sagt Schultz. Eine besondere Idee hatte die Hamburger Kunsthalle: Sie hat zwölf BürgerInnen ausgewählt, die eine eigene Ausstellung mit Werken aus der Kunsthalle gestalten konnten. „Sie haben viele Bilder aus dem Depot präsentiert, die schon lange nicht mehr zu sehen waren. Die große Publikumsresonanz zeigt uns, dass uns Museumsleuten die Bedeutung mancher Bilder für die Hamburger nicht klar war. Einiges werden wir in die Dauerausstellung übernehmen“, sagt Kunsthallendirektor Christoph Vogtherr.

Ganz auf das Internet setzt das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. Es zeigt unter www.museum-der-1000-orte.de Kunst, die im Auftrag des Bundes entstanden sind, für öffentliche Bauwerke wie Ministerien, Botschaften und deutsche Auslandsschulen. Neben den Abbildungen finden sich genaue Beschreibungen zu mehr als 150 Werken und Informationen über die beteiligten Künstler wie Rebecca Horn und HAP Grieshaber.

Mischa Kuball, Träger des Deutschen Lichtkunstpreises, sieht solche Angebote mit gemischten Gefühlen. „Wenn man Menschen damit digital erreichen kann, indem man ihnen suggeriert, dass sie Zugang zu Meisterwerken haben, dann muss man sich auch darüber im Klaren sein, dass das in letzter Konsequenz dazu führen könnte, dass sie gar nicht mehr ins Museum gehen, um diese Arbeiten real anzusehen.“ Oldenburg widerspricht: „In Zeiten des Digitalen wird die Sehnsucht nach dem Original immer größer. Das merken wir an der Begeisterung von Schülern, wenn sie bei uns vor einem Kunstwerk stehen, das sie bislang nur von Abbildungen kennen.“