Überdimensionale Thermoskanne

Heidelberg baut einen „Zukunftsspeicher“, der Wärme puffert – und doch vor allem dem Strommarkt dient

Auf dem Dach einer riesigen Thermos­kanne kann man dann Kaffee trinken

Es mag im ersten Moment bizarr klingen, aber genau so funktioniert die Energiewende: Die Stadtwerke Heidelberg bauen einen riesigen Wärmespeicher, damit Strom in Zukunft flexibler nach den Bedürfnissen des Marktes erzeugt werden kann.

Doch was hat das eine mit dem anderen zu tun? Heizkraftwerke, von denen es im Raum Heidelberg/Mannheim einige gibt, produzieren gleichzeitig Strom wie auch Nutzwärme. Und viele der Anlagen können in einem gewissen Rahmen die Relationen der Erzeugung verschieben: Weniger Strom ergibt dann mehr Nutzwärme und umgekehrt.

An dieser Stelle kommt der Speicher ins Spiel. Wenn das Stromangebot im Netz gerade üppig ist, gibt das Heizkraftwerk weniger Strom und dafür mehr Wärme ab. Das ist aber nur sinnvoll, wenn die zusätzliche Wärme auch gespeichert werden kann. Wird Strom im System wieder knapper, setzt das Kraftwerk im Gegenzug stärker auf die Stromerzeugung und reduziert die Abgabe von Wärme, die nun der Speicher bereitstellt. Der Hintergrund dieser Lösung ist simpel: „Wärme lässt sich viel billiger speichern als Strom“, erklärt dazu Michael Teigeler, Geschäftsführer der Stadtwerke Heidelberg.

Gleichwohl dient der Wassertank dem Strommarkt, und dieser liefert auch die Erträge. Denn die jeweilige Angebotssituation spiegelt sich in den Preisen an der Strombörse wider; wer Stromerzeugung verlagern kann in Stunden, in denen Strom knapper ist, kann folglich höhere Erlöse erzielen. Genau das ermöglicht der Wärmespeicher, indem er die Strom- und die Wärmeerzeugung zeitlich entkoppelt. „Zukunftsspeicher“ haben die Kurpfälzer ihr Projekt genannt, weil es über die Systemgrenzen hinweg denkt. „Was wir machen, ist die viel zitierte Sektorenkopplung“, sagt Teigeler.

Wirtschaftlich attraktiv sei der Speicher auch dadurch, dass er einen andernfalls notwendig gewordenen Neubau eines weiteren Heizkessels für Spitzenzeiten verzichtbar machte. Denn Nachfrage-Spitzen der Wärmekunden kann künftig der Speicher abdecken. Mit einem Nutzvolumen von 12.800 Kubikmetern kann er bei Wassertemperaturen bis 115 Grad immerhin 660.000 Kilowattstunden Wärme puffern. Das entspricht dem Energiegehalt von 66.000 Litern Heizöl.

In Zukunft soll außerdem eine sogenannte Power-to-Heat-Anlage den Speicher ergänzen. Das ist eine Art riesiger Tauchsieder, der in Zeiten überschüssigen Stroms die Energie verheizt. Physikalisch gesehen ist das zwar keine wünschenswerte Transformation, weil eine hochwertige Energie in eine niederwertigere gewandelt wird. Doch in Zeiten, wenn so viel Strom im Netz ist, dass ansonsten Windräder abgeschaltet werden müssten, ist das zweifellos die bessere Option.

Der Wassertank wird in der Nähe eines bestehenden ­Holzheizwerkes gebaut und mit seinen 55 Metern Höhe künftig die Silhouette von Heidelberg prägen. Als Touristenstadt hat sich Heidelberg deswegen auch über die Architektur viele ­Gedanken gemacht: Auf dem Speicher wird es eine Aus­sichtsplattform geben und eine Terrasse mit Gastronomie. Kaffee trinken auf dem Dach einer riesigen Thermoskanne: Ende 2019 soll das möglich sein, mit Blick auf Neckar und ­Odenwald.

Bernward Janzing