Kommentar Zurückweisungen in der EU: „Hier kommt keiner mehr rein“

In vielen EU-Ländern werden Geflüchtete nicht so behandelt, wie es das EU-Recht will. Das müsste man vor einer Zurückweisung überprüfen.

Flüchtlinge aus Syrien gehen nahe der deutschen Grenze hinter einem Schild mit der Aufschrift "Germany" und der Abbildung einer deutschen Fahne einen Weg entlang

An der deutsch-österreichischen Grenze wurde ein Geflüchteter nach Griechenland abgewiesen Foto: dpa

Es klingt zunächst nicht unplausibel: Wer schon in einem anderen EU-Staat registriert ist, muss das deutsche Asylsystem nicht belasten und soll gegebenenfalls dort Schutz bekommen. Und deshalb braucht er schließlich gar nicht erst einzureisen. Um das durchzusetzen, hat Seehofer im Juni den wohl schwersten Krach der letzten Jahrzehnte mit der Schwesterpartei vom Zaun gebrochen. Doch es gibt gute Gründe, warum nicht nur Merkel sich dagegen sperrte.

Denn es ist eben so, dass in vielen EU-Ländern Flüchtlinge nicht so behandelt werden, wie es dem EU-Recht entspricht. Sei es, weil die jeweilige Regierung nicht gewillt ist, die Flüchtlingsrechte zu achten – siehe etwa Ungarn oder Italien –, sei es, dass sie überfordert ist wie in Griechenland. Genau das aber muss ein EU-Staat prüfen, bevor er einen Schutzsuchenden ohne Asylverfahren in einen anderen Staat zurückschickt. Und das geht natürlich nicht auf der Wache der Autobahnpolizei.

Denn dabei geht es um sehr existenzielle Fragen. Die Wichtigste ist: Schiebt das Land einen Zurückgewiesenen womöglich erneut ab, an einen Ort, an dem er nicht sicher ist? Genau das ist eines der Probleme etwa im Fall Griechenlands: Immer öfter schiebt die Regierung Flüchtlinge aus dem Nahen Osten in die Türkei ab. Und diese schiebt ihrerseits ab. Am Ende landen die Flüchtlinge an ­Orten, an die sie niemals hätten zurückgeschickt werden dürfen. Und wer trägt dann dafür die Verantwortung?

Solche Fragen müssen geprüft werden, bevor Flüchtlinge zurückgewiesen werden können. Seehofer will das nicht abwarten. Er setzt auf Abkommen mit anderen EU-Staaten, deren Inhalt die Öffentlichkeit bislang genauso wenig kennt wie lange seinen ominösen Masterplan.

Vieles spricht dafür, dass den Flüchtlingen darin keine Möglichkeit mehr gegeben wird, sich rechtlich zur Wehr zu setzen – die CSU hat schließlich schon klargemacht, dass sie vom Rechtsschutz für Flüchtlinge nichts hält. Für sie zählt allein die Botschaft: „Hier kommt keiner mehr rein.“

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Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

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