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Pointiert gegen die Aura

Um Migräne vorzubeugen, empfiehlt der Berufsverband Deutscher Neurologen, in den beschwerdefreien Intervallen Akupunktur einzusetzen. Bei akuten Attacken kommen Nadeln ebenfalls zum Einsatz

1906 malte Ernst Ludwig Kirchner sein „Ruhendes Mädchen mit Kopfschmerzen“. Verbunden mit Übelkeit, Licht- und Lärmempfindlichkeit könnte es auch Migräne gewesen sein Foto: akg-images/picture alliance

Von Alina Schwermer

Es beginnt oft mit einer sogenannten Aura. Sie beinhaltet beispielsweise ein Flimmern vor den Augen oder gar den vorübergehenden Ausfall der Sehkraft. Dann kommt der eigentliche Migräneanfall. Starke Kopfschmerzen, oft nur an einer Seite des Kopfes, außerdem typischerweise Übelkeit, Licht- und Lärmempfindlichkeit. Viele Betroffene begegnen der Erkrankung mit Schmerztabletten; es gibt zudem Wirkstoffe, die vorbeugend helfen können – etwa Topiramat, ein Medikament sowohl gegen Epilepsie als auch gegen Migräne.

Der Vorteil von Tabletten: Schnelle Wirkung, unkomplizierte Einnahme, wenig Zeitaufwand. Sie reduzieren teils auch die Häufigkeit der Anfälle. Der Nachteil: Sie haben häufig Nebenwirkungen und behandeln nicht die Wurzel des Problems. Wer etwas mehr Zeit und Geduld aufwenden kann, für den ist nachweislich Akupunktur eine sinnige Alternative. Auch die Schulmedizin erkennt sie als sinnvoll bei Migräne an.

Die unmittelbaren Auslöser von Migräne sind vielfältig. Nach Angaben der Deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur (DÄGfA) können etwa Nahrungsmittel, Hormonveränderungen oder Wetterveränderungen einen akuten Anfall auslösen. Außerdem besteht bei vielen Frauen ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Migräne und ihrer Periode. Ohnehin sind Frauen häufiger betroffen. Laut der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) leiden in Deutschland bis zu 25 Prozent aller Frauen unter Migräne, aber nur 8 bis 10 Prozent der Männer.

Informationsportal des BDN: www.neurologen-im-netz.de

Deutsche Ärztegesellschaft für Akupunktur: www.daegfa.de

Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft: www.dmkg.de

Hilfe bekommen sie bislang noch viel zu selten. Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) hat 2018 eine Befragung vorgelegt, nach der lediglich 43 Prozent der Betroffenen beim Hausarzt zu Vorbeugung beraten würden. Viele Patienten also sind möglicherweise mit der Migräne alleingelassen und suchen auf eigene Faust nach Alternativen. Die sind nicht immer hilfreich und ein beliebtes Metier von Scharlatanen: Homöopathie zum Beispiel ist laut einer aktuellen Studie als Migräneprophylaxe nicht wirksam und teilweise sogar schädlich.

Akupunktur dagegen wird nicht nur von der DÄGfA, sondern auch etwa vom Berufsverband Deutscher Neurologen (BDN) empfohlen. „Akupunktur kann in den beschwerdefreien Intervallen sehr gut zur Migränevorbeugung eingesetzt werden“, sagt Curt Beil vom BDN in einer aktuellen Meldung. „Die prophylaktische Wirkung ist mit der Wirkung vorbeugender Medikamente vergleichbar und daher eine wirksame Alternative.“ Sie könne sowohl die Häufigkeit der Anfälle als auch die Schmerzen reduzieren. Eine Option ist dabei die klassische chinesische Nadelakupunktur, eine andere die Shamakupunktur, bei der die Nadeln nicht genau auf die traditionellen Akupunkturpunkte gesetzt und auch nicht so tief in die Haut gestochen werden. Bei einem akuten Anfall dagegen sei der Effekt von Akupunktur eher gering. „Um akute Anfälle zu lindern, ist der Einsatz von Medikamenten sinnvoll“, so Beil.

Westliche Medizin führt Migräne grob formuliert auf Gefäßkrämpfe und damit einhergehenden Durchblutungsstörungen im Gehirn zurück. TCM dagegen spricht von Körpermeridianen. Auf denen fließe das „Qi“, das regulierende Gleichgewicht zwischen Yin und Yang. Bei Migräne sei das Qi blockiert, sodass der Körper sein inneres Gleichgewicht verliert. Nach Angaben der DÄGfA berichten zwischen 50 und 70 Prozent aller chronischen Schmerzpatienten nach einer Akupunkturbehandlung von spürbarer Verbesserung. Wenngleich deren Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind, haben auch unabhängige Studien die Wirksamkeit von Akupunktur bei Migräne nachweisen können.

Sowohl Nahrung, als auch Hormone oder das Wetter können einen akuten Anfall auslösen

In den neuen Leitlinien der DGN und DMKG heißt es: „Es besteht eine geringe Evidenz, dass die traditionelle chinesische Akupunktur in der Behandlung der akuten Migräneattacke wirksam ist.“ In einer Studie, die Akupunktur mit dem Medikament Sumatriptan beziehungsweise Placebo verglich, waren beide gleichwertig und deutlich überlegen gegenüber Placebo. Sumatriptan war allerdings besser, wenn die Migräneattacke schon schwer war. Wenn es um Prophylaxe geht, stellt die Leitlinie anhand mehrerer Studien fest: „Akupunktur kann als mindestens so wirksam angesehen werden wie medikamentöse Prophylaxe.“ Wichtig ist allerdings, vorab sicher zu sein, dass es sich wirklich um Migräne handelt und nicht etwa zum Beispiel um Clusterkopfschmerzen. Bei denen gilt Akupunktur bislang als wirkungslos.

Wie bei jeder ärztlichen Behandlung ist es auch bei Akupunktur unerlässlich, eine seriöse Praxis zu finden. Die DÄGfA rät, dass spätestens nach der achten Sitzung eine deutliche Besserung spürbar sein soll. Wenn dies nach zehn Sitzungen immer noch nicht der Fall sei, brauche man es nicht weiter in der Praxis zu versuchen. Ein Nachteil bei Akupunktur sind allerdings die Kosten. Eine Sitzung kostet zwischen 30 und 70 Euro. Die gesetzlichen Kassen übernehmen Akupunktur bei Migräne bisher nicht. Im Schnitt sind übrigens 15 Akupunktur-Sitzungen nötig, um bei Migräne langfristigen Erfolg zu erzielen. Einige Monate nach der Therapie sollen Patienten zu einer Auffrischung durch einige wenige Sitzungen kommen.