Kommentar AfD und Datenschutz: Kein Verständnis für Mausrutscher

Ronald Gläser verbreitete den geleakten Haftbefehl auf Twitter. Pikant: Er ist Vorsitzender des Datenschutz-Ausschuss im Abgeordnetenhaus

Ronald Gläser spricht im Abgeordnetenhaus

Müsste es eigentlich besser wissen: Ronald Gläser im Abgeordneten Haus von Berlin Foto: dpa

BERLIN taz | Mitglieder rechtspopulistischer Parteien in Deutschland sind dafür bekannt, dass ihnen beim Umgang mit sozialen Medien gern die Maus ausrutscht. Vielleicht wird dieser feinmotorische Kontrollverlust durch die Schnappatmung verursacht, unter der AfD-Funktionäre auf der Höhe kalkulierter Empörungswellen leiden. Anders ist es schwer zu erklären, warum auch Ronald Gläser, einer von 23 AfD-Mitgliedern im Abgeordnetenhaus, vergangene Woche einen geleakten Haftbefehl auf Twitter verbreitete.

Der Haftbefehl gegen den Iraker, der unter Verdacht steht, an der tödlichen Messerattacke in Chemnitz beteiligt gewesen zu sein, enthielt dessen vollen Namen mit Anschrift. Eine Veröffentlichung ließe sich leicht als Aufruf zur Lynchjustiz verstehen. Es bedarf nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was der rechtsextreme Mob, der zwei Tage vor Gläsers Post durch Chemnitz zog, mit diesen Informationen gern anstellen würde.

Kritische Geister mögen anmerken, von einem Angehörigen einer Partei, die gerne ganze Volksgruppen unter Generalverdacht stellt, sind feine Differenzierungen zwischen „Justiz“ und „Selbstjustiz“ oder „verdächtig“ und „verurteilt“ nicht zu erwarten. Dabei pocht die Law-and-Order-Partei AfD auf die penible Einhaltung des Rechtsstaats, wie sie immer wieder in Bezug auf Einwanderung und Europas Grenzen betonen.

Gläser ist im Berliner Abgeordnetenhaus Vorsitzender des Ausschusses für Datenschutz und sollte bestens darüber Bescheid wissen, dass die Verbreitung von Haftbefehlen auf Twitter nicht nur aus datenschutzrechtlichen Gründen bedenklich ist. Die Veröffentlichung amtlicher Dokumente eines Strafverfahrens stellt nach Paragraf 353d des Strafgesetzbuches eine Straftat dar. Bestimmt mal wieder nur ein Missverständnis, dass ein rechts-liebender AfDler wie Gläser in voller Absicht so einen fragwürdigen Post veröffentlicht, auch wenn er ihn nach kurzer Zeit wieder löschte.

Staatsanwaltschaft prüft Ermittlungen

Andere zeigen weniger Verständnis für Mausrutscher: Eine Privatperson erstattete Anzeige, die Staatsanwaltschaft prüft, ob sie Ermittlungen aufnimmt. Auch aus dem Parlament kommt Kritik. Gläsers Post zeige „seine Einstellung zum Rechtsstaat und zum Datenschutz“, so Niklas Schrader (Linke).

Der Ex-Pirat und jetzige FDP-Abgeordnete Bernd Schlömer legte Gläser auf Twitter einen Rücktritt als Ausschussvorsitzender nahe, sollten sich die Vorwürfe bestätigen.

Auch die Berliner Datenschutzbeauftragte beabsichtigt eine Prüfung. Bußgelder und weitere Strafanzeigen könnten die Folge sein.

Immerhin ist Ronald Gläser mit seinem vermeintlichen Missgeschick nicht allein in seiner Partei. Bundestagsabgeordneter Stephan Protschka postete den Haftbefehl ebenfalls, und gegen einen AfD-Kreisverband in Thüringen laufen bereits Ermittlungen.

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