Nach Syrien ohne den Bundestag?

Einem Bericht zufolge denkt die Bundesregierung über Luftangriffe ohne Mandat nach. Das Verteidigungsministerium dementiert nicht

Tornado-Angriffe in Syrien? Ursula von der Leyen denkt offenbar darüber nach Foto: Bodo Marks/dpa/picture alliance

Von Tobias Schulze

Plant die Bundesregierung Luftangriffe für den Fall, dass syrische Regierungstruppen Giftgas einsetzen? Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums wand sich am Montag: „Wir reden über einen sehr hypothetischen Fall, von dem niemand sagen kann, ob er Realität wird“, sagte er. Und würde die Bundesregierung im Fall der Fälle wirklich darauf verzichten, vorab ein Bundestagsmandat einzuholen? „Es ist selbstverständlich, dass die Bundeswehr immer im Rahmen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, des Grundgesetzes und des Völkerrechts handelt.“ Schön formuliert: Eine Bestätigung ist das nicht, ein Dementi aber ebenso wenig.

Die Bild-Zeitung hatte zuvor über entsprechende Überlegungen im Ministerium von Ursula von der Leyen (CDU) berichtet. Demnach hatten zunächst die USA im Kanzleramt angefragt, ob sich Deutschland an Luftangriffen beteiligen würde, falls die syrische Armee im Kampf um die Stadt Idlib Giftgas einsetzt. Einen solchen Vergeltungsangriff hatten die USA im April schon einmal unternommen, damals zusammen mit Frankreich und Großbritannien.

Als Reaktion auf die US-Anfrage habe die Bundesregierung jetzt verschiedene Möglichkeiten geprüft. Für den Krieg gegen den IS sind ohnehin schon Bundeswehr-Tornados in der Region, sie führen derzeit Aufklärungsflüge über dem Irak und Syrien durch. Im Falle eines Vergeltungsangriffs könnten sie in Zukunft auch gegen Einrichtungen der syrischen Regierung vorgehen – indirekt durch Aufklärungsflüge oder direkt durch Raketenangriffe.

Vom bisherigen Bundestagsmandat wäre dieser Einsatz nicht gedeckt – das Parlament genehmigte bislang nur Einsätze gegen den IS. Laut Bild würde die Bundesregierung zunächst aber auch kein neues Mandat beantragen. „Aus Zeitgründen“ wolle sie erst angreifen und den Bundestag erst danach um Erlaubnis bitten.

Grundsätzlich ist das möglich. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz erlaubt Einsätze ohne Mandat „bei Gefahr im Verzug, die keinen Aufschub dulden“. Die Bundeswehr darf in diesen Fällen sofort loslegen, die Beteiligung des Bundestags wäre erst nach Beginn des Angriffs „unverzüglich nachzuholen“. Ist der Einsatz dann schon wieder beendet, reicht es aus, die Abgeordneten zu informieren.

In welchen Fällen „Gefahr im Verzug“ droht, ist im Gesetz nicht genauer definiert. In der Praxis haben Bundesregierungen die Klausel schon mehrfach genutzt. Im Jahr 2011 evakuierte die Luftwaffe zum Beispiel in einem bewaffneten Einsatz 262 Ausländer aus dem Bürgerkriegsland Libyen. Aus Sicherheitsgründen hielt sie den Einsatz zunächst geheim und informierte den Bundestag im Nachhinein. Vor Luftangriffen kam die Klausel bislang aber noch nicht zum Einsatz.

Ob es diesmal wirklich dazu kommt, ist ebenfalls fraglich: SPD-Chefin Andrea Nahles sprach sich am Montag gegen deutsche Luftangriffe aus. „Die SPD wird weder in der Regierung noch im Parlament einer Beteiligung Deutschlands am Krieg in Syrien zustimmen“, sagte sie. Auch die Opposition sieht die Überlegungen kritisch. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte zu den Überlegungen, den Bundestag außen vor zu lassen: „Die Rechtslage ist in unseren Augen völlig klar, man müsste das Parlament fragen. Ich kann nur hoffen, dass diese Gerüchte sich nicht bewahrheiten.“ FDP-Chef Christian Lindner sagte hingegen: „In einer geeigneten Form beizutragen, würde ich nicht per se ausschließen.“

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