berlinmusik
: Digitales Dickicht

Da ist zunächst einmal dieser sprechende Name: Amnesia Scanner. Schon der scheint ein Verweis auf eine Art digitalen Gedächtnisverlust zu sein, und zufällig hat ihn das dahinter stehende Elektronikduo sicher nicht gewählt. Denn Amnesia Scanner machen einen elektronischen Sound, in dem das Dauergefeuere des Netzzeitalters abgebildet ist, der oft grell und grob, überfordernd und überbordend klingt.

Amnesia Scanner, das sind die finnischen Produzenten Ville Haimala und Martti Kalliala, die in diesen Tagen mit „Another Life“ ihr Albumdebüt auf PAN/Al!ve veröffentlichen. In der Vergangenheit haben Haimala und Kalliala bereits mit Mykki Blanco und Holly Herndon zusammen gearbeitet – insbesondere Letztere lässt sich gut als Referenz anführen, denn auch Amnesia Scanner sind ein digitales Gesamtkunstwerk, und das in Form wie Inhalt.

Auf ihrer Website blinken etwa minutenlang Wortneuschöpfungen wie „Comparanoia“, „Damagine“ „Authorithms“ auf, und über dem Browser steht gleich mal als Warnhinweis „Chaos Chaos Chaos“. Die Homepage erweist sich dann als undurchdringliches digitales Dickicht – und auch thematisch schwingen Themen wie Überwachung im Netz, Macht der Algorithmen (siehe obigen Neologismus) und Datenunsicherheit bei ihnen immer mit.

In der Musik klingen Einflüsse aus allerlei elektronischen Subgenres – EDM, Gabba, Elektropunk, Noise – durch, man fühlt sich dabei zeitweise an Acts wie Peaches genauso erinnert wie an eine Lucrecia Dalt. Ein breites Spektrum also, gesanglich lassen sich Amnesia Scanner dabei von der chinesischen Musikerin und Performancekünstlerin Pan Daijing unterstützen, und dann haben sie noch eine elektronisch generierte Stimme dabei, die sie Oracle nennen. Die menschliche Stimme aber setzt sich (vorerst) durch: Die beiden Stücke mit Daijings Gesang sind die zugänglichsten Tracks des Albums, sie klingen wie Autoscootermusik für das 21. Jahrhundert. Elf Stücke lang wühlt man sich angeregt durch dieses dichte Soundgewebe, ehe die beiden Finnen mit „Rewild“ nachdenklich schließen.

Da ist dann der digitale Overkill erreicht, man sehnt sich im Sinne des Rewildings nach einem Aussteigerleben. Nach Thoreau, nach „Walden“. Und wer täte das nicht hin und wieder in diesen Zeiten. Jens Uthoff

Amnesia Scanner: „Another Life“ (PAN/Al!ve)