Erste Ateliergenossenschaft in Berlin: Selbstbestimmte Arbeitsverhältnisse

In Charlottenburg hat das erste selbstfinanzierte Atelierhaus für Künstler eröffnet. Die Idee ist aus der Not heraus entstanden: Es herrscht Ateliernotstand.

Ateliergenossenschaft am Eröffnungstag: im Atelier von Katrin Bremermann Foto: Lia Darjes

Das Wort Genossenschaft ist eine deutsche Besonderheit. In vielen Sprachen heißt das Prinzip einfach Kooperative, also Zusammenarbeit. Manche Fremdsprachler denken daher, die deutsche Form von Genossenschaft habe etwas mit Genießen zu tun. Eine Genossenschaft wäre also eine Art Zusammenschluss von Leuten, die zusammen etwas genossen haben – und wahrscheinlich auch in Zukunft noch genießen wollen.

Die Künstlerin Kiki Gebauer erinnerte am vergangenen Freitagabend zur Eröffnungsfeier des ersten Berliner Ateliergenossenschafthauses an solche Übersetzungschwierigkeiten. Kiki Gebauer ist selbst Genossin und war eine der ersten Künstler*innen, die jener vor drei Jahren gründeten „Kooperative“ neuen Typs beitraten, deren Zweck Erwerb und Nutzung von Arbeitsraum für die eigenen künstlerische Zwecke sein sollte. Man könnte auch einfach sagen: Die Idee war das Genießen selbstbestimmter Arbeitsverhältnisse. Das Wort Genosse kommt übrigens tatsächlich von Genießen: „Jemand, der mit einem anderen etwas genießt“, erklärt das Lexikon.

Inzwischen ist aus der Absicht Realität geworden. Die Atelierhaus-Genossenschaft-Berlin (AHGB eG) darf ab sofort von sich sagen, sie habe das erste selbst finanzierte Atelierhaus für Künstler in Berlin eröffnet. Standort: Stieffring 7 im Gewerbegebiet von Charlottenburg-Nord zwischen Kleingartenkolonien, Baumarkt und den Gefängnissen von Plötzensee. Keine 1A-Lage also, aber ein solider wenngleich gesichtsloser Büroklotz einer ehemaligen Sanitärfirma, das ist das neue Arbeitsdomizil von Kiki Gebauer und rund 30 – hauptsächlich weiblichen – Mitgliedern der außergewöhnlichen Genossenschaft. Alte Werkstätten im Erdgeschoss des Gebäudes bieten sogar Platz für Bildhauer oder Installationskünstler.

Ein Glücksfall, überhaupt eine Immobilie gefunden zu haben. Natürlich ging es beim Kauf nicht ohne Kredit. Hier half eine andere Genossenschaft – die Volksbank.

Genossenschaftsprinzip Die Atelierhaus-Genossenschaft Berlin (AHGB eG) wurde 2015 gegründet und folgt den drei Prinzipien des Genossenschaftsprinzips: Selbsthilfe – Selbstverwaltung – Selbstverantwortung. Für das kleinste der 30 Ateliers mit 20 Quadratmeter im „Haus 1“ der Genossenschaft am Stieffring 7 in Charlottenburg war eine Einlage von 8.000 Euro notwendig. Die Bruttowarmmiete für die unterschiedlich großen Ateliers beläuft sich derzeit auf 8 Euro pro Quadratmeter, womit Betriebskosten und Kreditrückzahlung gedeckt werden.

Expansion Das Gebäude einer ehemaligen Firma für Sanitär‑ und Heizungsinstallation wurde für 1,7 Millionen Euro gekauft, der Eigenkapitalanteil betrug 40 Prozent. Mittlerweile hat die Genossenschaft rund 50 Mitglieder und ist auf Expansion angelegt. Es sollen weitere Ateliergebäude dazukommen. (rb)

Modell für den Mittelstand

Nur, ist das Genossenschaftsmodell eine echte Alternative, dem den Mangel an geeigneten Arbeitsräumen für Künstler in der Stadt abzuhelfen? Schließlich verringere sich nach Aussage von Berlins Atelierbeauftragten Martin Schwegmann die Zahl an bezahlbaren Ateliers in der Stadt um 350 pro Jahr. Das Modell richte sich an den „Mittelstand“, so formuliert es Kiki Gebauer.

Wer 380 Euro pro Quadratmeter für sein Atelier als Einstands­einlage übrighat und zusätzlich monatlich 8 Euro pro Quadratmeter an laufenden Kosten berappen kann, für den war die AHGB wohl eine echte Gelegenheit: „Ich habe die dauerhafte Sicherheit, dass mich keiner rausschmeißt“, erklärt Kiki Gebauer nun den entscheidenden Vorteil. Die Genossen und Genossinnen müssen weder mit Kündigungen noch mit dubiosen Preissteigerungen der Miete rechnen. Und sie müssen auch nicht nach spätestens acht Jahren ausziehen, wie bei den vom Land Berlin subventionierten Ateliers – die dafür allerdings auch nur 4 Euro den Quadratmeter kosten.

Der infrage kommende künstlerische „Mittelstand“, der sich oft durch (männliche) Ehepartner finanziert, hat beim Genossenschaftsmodell auch den Vorteil, nicht ständig seine Bedürftigkeit nachweisen zu müssen, um in seinen subventionierten Senatsateliers ausharren zu dürfen.

Auch der Papierkram zur Gründung der AHGB als juristische korrekte „eingetragenen Genossenschaft“ liegt erst mal hinter den Mitgliedern der Ateliergenossenschaft. Christian Hamm vom Kunstverein Tiergarten und Ulf Heitmann, Vorstandsmitglied der Wohnungsbaugenossenschaft Bremer Höhe, von denen die Initiative zur Gründung der Genossenschaft ausging, haben da sehr geholfen.

Mut zur Investition

Am Eröffnungsabend mit „offenen Ateliers“ freuten sich jedenfalls die Ateliergenossen und deren Sympathisanten über ihr frisch renoviertes, neues Domizil. Denn es bedurfte für die angehenden Genossen und Genossinnen durchaus Mut, in ein Projekt zu investieren, von dem am Anfang niemand wusste, ob es überhaupt funktionieren würde.

Reinhard Naumann (SPD,) Bezirksbürgermeister von Charlottenburg, entrichtete zur Einweihungszeremonie nicht nur ein „fröhliches Hallo“ sondern übernahm auch gleich die Rolle eines Talkmasters. So entlockte er Astrid Köppe, jetzt im Vorstand der AHGB und natürlich selbst Künstlerin mit Atelier im neuen Haus, das Bekenntnis: Die Idee zur Ateliergenossenschaft sei als Ergebnis „schwerer Not“ entstanden. In Berlin herrsche „Ateliernotstand“.

Der Stolz, eigene Ateliers, ohne jegliche öffentliche Förderung selbst finanziert und in Eigenregie realisiert zu haben, war ihr und ihren Genossen an diesem Abend deutlich anzusehen. Bürgermeister Naumann konnte da für das „proaktive Engagement“ der Künstler*innen nur ein „Riesenkompliment“ aussprechen.

Den geschätzt vielleicht vier‑ bis fünftausend Künstlern, die in Berlin derzeit noch ein bezahlbares Atelier suchen und nicht zum betuchten Mittelstand zählen, wäre zu wünschen, dass die Politik für sie vielleicht mehr übrighat als nett gemeinte Komplimente. Schließlich schmückt sich Berlin ständig nicht nur beim Stadtmarketing mit dem Hippness-Faktor von Kunst und Künstlern.

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