Neue Bäume für den Hambacher Forst

Tausende Menschen demonstrierten am Wochenende gegen die laufende Räumung des Waldes. Einige bauten Barrikaden, andere pflanzten Bäume – und zwei verschanzten sich unter Lebensgefahr in einem Stollen

Schon am Samstag versuchten Demonstranten in den Wald zu gelangen Foto: Henning Kaiser/dpa

Aus dem Hambacher Forst Martin Kaul
und Anett Selle

Mit zahlreichen Demonstration, Blockaden und anhaltenden Baumbesetzungen haben sich Tausende Demonstrantinnen und Demonstranten am Wochenende der andauernden Räumung des Hambacher Forstes entgegengestellt.

Zu einem sogenannten Waldspaziergang kamen am Sonntag nach Polizeiangaben über 4.000 Menschen rund um den Hambacher Forst zusammen, um dort ein Zeichen gegen die geplante Rodung des Waldstücks am Rande einer Kohlegrube des Energiekonzerns RWE zu setzen. Umweltgruppen sprachen von 5.000 bis 9.000 Demonstranten.

Zahlreiche Familien mit Kindern, Umweltaktivisten und Anwohner waren dem Aufruf von Umweltorganisationen und Bürgerinitiativen gefolgt. Einige trugen junge Bäume mit sich, um diese im Wald zu verpflanzen. Die Demonstranten strömten ab dem Mittag um das Waldgebiet, in dem die Polizei seit Donnerstag unter dem Vorwand brandschutzrechtlicher Bedenken Baumhäuser räumt.

Der umkämpfte Wald ist inzwischen zu einem Symbol im Widerstand gegen die Braunkohleenergie geworden, die zu einer der schmutzigsten Energiearten überhaupt gehört. Umweltschützer kritisieren, dass Teile des Waldes gerodet werden sollen – trotz eines absehbaren Ausstiegs aus der Kohleverstromung und der Klimaziele von Paris, zu der sich auch die Bundesregierung bekannt hat. Diese hat eine „Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ eingerichtet, die ein mögliches Ausstiegsszenario aus der Kohleenergie entwickeln soll (siehe Text rechts).

Das Energieunternehmen RWE, dem die benachbarte Kohlegrube und auch der Wald gehören, argumentiert, der Forst müsse gerodet werden, um weiterhin im bislang rechtlich vereinbarten Umfang Kohle abbauen und Energie produzieren zu können. Ab dem 1. Oktober dürfte das Unternehmen mit den Rodungen beginnen.

Um dagegen zu protestieren, waren bereits am Samstag mehrere hundert Menschen einem Aufruf der „Aktion Unterholz“ gefolgt. In Gruppen zogen Klimaaktivisten über Straßen, Felder und Brücken und versuchten, sich Zugang zum Wald zu verschaffen. Teils wanderten sie mehrere Kilometer durch die umliegenden Orte. Die meisten wurden von der Polizei gestoppt, die den Wald mit Hunderten Beamten abriegelt und ein weiträumiges Gebiet rund um den Hambacher Forst zur Gefahrenzone erklärt hat.

Einige Dutzend Menschen gelangten dennoch in den Wald. Sie errichteten Barrikaden aus morschen Baumstämmen und großen Ästen und hoben mit Hacken und Spaten Erdlöcher auf Wegen aus, um den Polizeiautos die Durchfahrt durch den rund 200 Hektar großen Wald zu erschweren. Die Polizei war unter anderem mit Räumpanzern und Polizeihunden im Wald präsent. Außerhalb des Waldes standen Wasserwerfer bereit, ein Hubschrauber war im Einsatz. Teils wurden die Demonstrationen mit Polizeipferden begleitet.

Die Räumung des Waldes gestaltet sich schwer, weil Umweltschützer auf Baumhäusern in bis zu 25 Metern Höhe ausharren, die selbst für Kletterteams schwer zu erreichen sind. Auch Hubwagen und Kräne können diese Stellen mitten im Wald kaum ansteuern. Daher werden Bäume gefällt und Teile des Waldes freigelegt, um auf eigens eingerichteten Schneisen die Baumhausdörfer mit schwerem Gerät erreichen zu können.

Besondere Aufmerksamkeit erregte am Wochenende eine spektakuläre Blockadeaktion, bei der sich zwei Männer offenbar in Lebensgefahr begeben hatten, um die Räumung des Waldes hinauszuzögern. In einem selbst gebuddelten Erdloch unter einem Waldhaus in der Baumhaussiedlung „Oaktown“ hatten sich die zwei Aktivisten offenbar bereits am Freitag angekettet und sich so in dem kaum zugänglichen Stollen weit unter der Erde verschanzt.

Baumbesetzer hatten darauf hingewiesen, dass sich Menschen in einem unterirdischen Tunnelsystem befänden, und den Rückzug von schwerem Gerät gefordert. Die Polizei hatte ihre Maßnahmen zunächst weiter durchgeführt – später jedoch Experten von Feuer- und Grubenwehr sowie Geologen angefordert.

Diesen gelang es offenbar bis Samstagabend nicht, die Personen eindeutig zu lokalisieren oder sich Zugang zu ihnen zu verschaffen. Die Maßnahmen gestalteten sich so schwierig, dass die Polizei zunächst von weiteren Baumhausräumungen absah. Experten erklärten den 11 Meter tiefen Stollen für akut einsturzgefährdet und maßen nach Angaben eines Feuerwehrsprechers eine lebensbedrohlich hohe Kohlenstoffdioxid-Konzentration in dem Schacht. Erst am Sonntagmorgen konnten die Einsatzkräfte Sichtkontakt mit den Besetzern aufnehmen und sie zur Aufgabe überreden. Nach Angaben der Polizei hatten sich die beiden Männer 4 und 10 Meter unter der Erde aufgehalten.

Während Tausende ­Menschen am Sonntag außerhalb des Waldes demonstrierten, wichen mehrere Hundert Menschen von der offiziellen Demonstrationsroute ab und liefen in den Wald, wo sie erneut mit der Errichtung von Barrikaden begannen. Die Polizei ließ sie zunächst gewähren. Die Räumungsarbeiten gingen derweil weiter: Am Sonntagnachmittag waren laut Polizei 13 von 50 Baumhäusern geräumt und teils zerstört worden.

Nach Angaben der Polizei Aachen waren bis Sonntag früh 34 Personen in Gewahrsam genommen sowie 9 Personen leicht verletzt worden. Außerdem wurden 62 Platzverweise erteilt. Alle Zahlen dürften sich im Laufe des Sonntags jedoch erhöht haben.