Auch in koscheren Küchen brennen Kartoffelpuffer an

Auf dem vierten Filmfest Bremen feiern drei Filme Premiere: Eine Dokumentation über ein interreligiös verbrachtes Chanukka, ein Filmgedicht von skandinavischer Dunkelheit und eine Komödie über Tod und Freundschaft

Wollten sich eigentlich von einer Brücke stürzen: Die Protagonisten in „#Wannadie“ Foto: Eugen Grittschneder

Von Wilfried Hippen

Da muss die schwäbische Hausfrau sehr tapfer sein: Ein Rabbi steht in ihrer blitzsauberen Küche und hat einiges zu bemängeln. Das Besteck kann zwar noch durch Kaschern, also Reinigen in siedendem Wasser, koscher gemacht werden, aber das Geschirr ist und bleibt unrein, weil winzige Partikel von Schweinefleisch in den Poren des Porzellans hängen könnten. Die Regeln dafür, wie man eine Küche koscher machen kann, sind so kompliziert, dass der Rabbi selber oft in einem dicken Buch nachsehen muss. Eine Abzugshaube muss die Gastgeberin noch abdecken, aber dann kann sie aufatmen: In ihrem Haushalt kann das jüdische Lichterfest „Chanukka“ gefeiert werden. Da reichen dann auch Papiertücher, um die Häupter der christlichen und moslemischen Mitfeiernden zu bedecken. Und beim Einkaufen für das Essen finden sich in einem türkischen Laden Lebensmittel, die sowohl koscher als auch halal sind.

In der Dokumentation „Chanukka – feiern mit Naima, Friederike und Alon“ wird das interreligiöse Musik- und Chorprojekt „Trimum“ vorgestellt, in dem Christen, Moslems und Juden nicht nur miteinander musizieren und singen, sondern auch gemeinsam Lieder und Stücke komponieren, bei denen ihre Kulturen und Musikstile ineinander aufgehen. Der israelische Gitarrist Alon, die marokkanische Materialprüferin Naima und die Lehrerin Friederike aus Esslingen freunden sich bei Proben und Auftritten an. Alon lädt die beiden Frauen ein, gemeinsam mit ihm eines der wichtigsten jüdischen Feste zu feiern: Chanukka.

Die Bremer Filmemacherin Annette Wagner begleitet die drei angenehm unaufdringlich mit ihrer Kamera und findet dabei Situationen, in denen klar wird, wie verwandt die drei Religionen miteinander sind. Wenn die Christin Friederike bemerkt, dass der neunarmige Chanukkaleuchter ein wenig wie ein Tannenbaum aussieht, klingt das noch ein wenig seltsam, aber dann erklärt Alon, dass an jedem Tag eine Kerze mehr auf dem Leuchter angezündet wird, und die Parallele zum christlichen Adventskranz wird mehr als deutlich. Eine weitere Erkenntnis: Dass niemand unfehlbar ist und auch in einer koscheren Küche Kartoffelpuffer anbrennen.

Wagner zeigt mit ihrem 45-minütigen Film, wie ein weltoffener und positiver Austausch zwischen den Religionen und Kulturen aussehen kann. „Chanukka“ ist einer von drei Filmen, die auf dem vierten Filmfest Bremen Premiere feiern. Er wird am Samstag um 13 Uhr im Kino Atlantis gezeigt und ist für den Publikumspreis nominiert.

Düstere Langsamkeit

Wenn unter 50 Zuschauern zwei sind, die seinen Film mögen, sei er schon zufrieden, sagte der in Bremen lebende Schwede Paul Jackson der taz. Jackson ist ein radikaler Künstler, der es dem Publikum nicht leichtmacht, sich auf sein Filmpoem „Requiem der Augenblicke“ einzulassen. Er hat mit vier Schauspielern zwanzig seiner eigenen Gedichte verfilmt. Manchmal deklamieren sie die Texte, zum Teil erstarren sie aber auch in kunstvoll komponierten und ausgeleuchteten Filmbildern. Jackson arbeitet mit den Bildern von drei Bremer Malern, ein Cellist hat für ein paar Filmminuten eine traumverlorene, schwermütige Musik eingespielt. Aber ansonsten hat der Künstler alles selber gestaltet: die Ausstattung, das Licht, den Ton, den Schnitt und die Musik auf dem Klavier und Keyboards.

Jackson kann gut mit der Kamera Stimmungen schaffen, aber da all seine Gedichte von verlorener Liebe, der Angst vor der Einsamkeit und dem Verlust des Vergangenen handeln, ist sein Film ein 40 Minuten langer düsterer Klotz. Es gibt keine Entwicklung, keine Dramaturgie, keinen Anfang und kein Ende – aber genauso wollte Jackson es. Das muss man nicht mögen, man kann aber bewundern, wie hartnäckig er jahrelang an diesem aufwendigen Werk gearbeitet hat, das in sich stimmig und stilistisch konsequent ist.

Der Regisseur Paul Jackson ist schon zufrieden, wenn unter 50 Zuschauern zwei sind, die seinen Film mögen

In Interviews spricht Jackson von der skandinavischen Langsamkeit und Schwere. Nur wenn er mit der Kamera in die Stadt geht um Eisenbahnzüge und Straßenbahnen zu zeigen, öffnet sich sein Film für ein paar Augenblicke für Licht, Farbe und Bewegung. Sein Vater hat bei der schwedischen Bahn gearbeitet und ihn als Kind oft bei seinen Inspektionsreisen mitgenommen. Manchmal sind seine Verse banal, vielleicht haben sie bei der Übersetzung aus dem Schwedischen über Englisch ins Deutsche auch ihre poetische Kraft verloren. „Ich schlief gestern ein und wache heute auf“, heißt ein Vers ganz simpel. „Requiem der Augenblicke“ ist für den internationalen Innovationspreis nominiert und hat am Freitag um 20 Uhr im Atlantis Premiere.

Suizid unter Freunden

Der dritte Film, der in Bremen Premiere hat, kommt aus Bayern und hat zwei eindeutig alpenländische Protagonisten: einen Bergsteiger und einen Trachtenschneider, der im Kostüm von Ludwig II. herumläuft. In „#Wannadie“ schließen sie einen Selbstmordpakt. Der Sportler glaubt, nach der Amputation eines Beins nicht mehr weiterleben zu können, der Königsimitator ist lebensmüde, weil seine Frau gestorben ist. Auf der Fahrt zu einer Brücke, von der sie sich herunterstürzen wollen, werden die beiden Freunde. Die Filmemacherin Anja Badeck erzählt in der schwarzen Komödie, wie die Freundschaft die Protagonisten verändert.

Badeck hat den Film als Abschlussarbeit der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen gedreht. In Bremen arbeitet sie bei der Tatortproduktion als Szenenbildassistentin. „#Wannadie“ ist konventionell erzählt. Badeck schafft es, komische Momente zu transportieren, ohne die tragische Geschichte vom Selbstmordpakt für makabere Witze zu missbrauchen. Der Film läuft am Sonntag um 14 Uhr im Atlantis und ist für den internationalen Wettbewerb „Humor/Satire“ nominiert.