DGB-Vizechefin über Paragraf 219a: „Nur die Abschaffung wäre ein Erfolg“

Elke Hannack, DGB-Vizechefin und Mitglied im Bundesvorstand der CDU, fordert von ihrer Partei, ihre Position zum Paragrafen 219a zu überdenken.

Mitglieder des Thüringer Frauen*kampftagsbündnisses protestieren vor der Eröffnung des 121. Deutscher Ärztetages gegen den Abtreibungsparagraphen 219a

Verantwortungslos? Die sogenannten „Lebenschützer“ haben ein problematisches Frauenbild Foto: dpa

taz: Frau Hannack, Sie sind im Bundesvorstand der CDU, die am Paragrafen 219a festhält. Nun sprechen Sie beim Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, das für dessen Abschaffung kämpft. Wie passt das zusammen?

Elke Hannack: Gar nicht. Aber ich werde das Thema in die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) tragen, der ich angehöre. Und darüber versuche ich, das Thema auch in der Union zu setzen. Gewerkschaftspositionen in die Union zu tragen, ist schwierig. Aber es gelingt uns immer wieder, zum Beispiel beim Thema Mindestlohn.

Grüne und Linke wollen den Paragrafen abschaffen, auch die SPD hatte ursprünglich ­einen Entwurf dazu vorbereitet. Sind Sie in der falschen Partei?

Nein. Die Union macht es sich nicht leicht. Ich habe mit Delegierten auf Bundesparteitagen intensive Diskussionen erlebt, die das erweiterte Thema betreffen. Wie weit darf Wissenschaft gehen, um in Leben einzugreifen? Ab wann ist Leben schützenswert? Viele Abstimmungen gingen am Ende knapp aus. Es gibt nicht die eine glasklare Position in der CDU, sondern viele differenzierte Meinungen. Es lohnt sich, zu diskutieren. Und Einfluss nehmen kann man nur, wenn man selbst in der Partei ist. Von außen wird man sie nicht verändern.

Sie versuchen, die Union zu revolutionieren?

Ich versuche erst einmal, das Thema in der CDA stärker zu setzen. Ich weiß, dass die CDA-Frauen bei der Abschaffung des 219a durchaus mitgehen. Jetzt müssen wir sehen, wie es in der Frauen-Union aussieht. Da hat es an der Spitze Wechsel gegeben. Vielleicht ändert das etwas. Jüngere Frauen haben häufig einen anderen Blick.

Elke Hannack, 56, hat evangelische Theologie studiert, als Verkäuferin gearbeitet und ist seit 2013 Vizechefin des DGB, wo sie unter anderem für Frauen- und Gleichstellungs­politik zuständig ist. Zudem ist sie stellvertretende CDA-Vorsitzende und im CDU-Bundesvorstand.

Auch beim Thema Lebensschutz steht die Position des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung der Haltung vieler in der Union diametral gegenüber. Volker Kauder und Wolfgang Bosbach haben in den vergangenen Jahren Grußworte für den „Marsch für das Leben“ gesendet, die „Christdemokraten für das Leben“ rufen auch dieses Jahr wieder dazu auf.

Am sogenannten Marsch für das Leben nehmen ausgesprochen bedenkliche Gruppen und Personen teil. Die sogenannte Lebensschutz-Bewegung hat viele Anknüpfungspunkte zu Rechtspopulisten, zur AfD – da müssen wir wirklich sagen: Kontaktsperre. Mit denen wollen wir nichts zu tun haben.

Wie wollen Sie Ihre Partei bei diesen kontroversen Themen auf Ihre Seite bringen?

Mit dem CDA-Vorsitzenden Karl-Josef Laumann habe ich zum Beispiel über das Thema gesprochen. Er hat sich deutlich gegen eine Abschaffung des 219a positioniert. Es macht aber Sinn, das Thema bei der nächsten Sitzung des gesamten CDA-Bundesvorstands zu diskutieren und gegebenenfalls eine Abstimmung herbeizuführen.

Was wäre für Sie ein Erfolg innerhalb der Union?

Für mich wäre nur die Abschaffung des 219a ein Erfolg. Denn es geht dabei ja nicht um Lebensschutz, sondern um ein bestimmtes Frauenbild, wonach Frauen so verantwortungslos sind, dass sie sich durch Werbung zu einer Abtreibung verleiten lassen. Ein Kompromiss würde nichts an dieser hanebüchenen Haltung ändern, die dahinter steht. Dieser Paragraf bevormundet Frauen und das müssen wir ändern. Wir müssen die nötigen Informationen über die Möglichkeit von Abbrüchen zur Verfügung stellen, und ÄrztInnen dürfen wegen dieser Informationen nicht kriminalisiert werden. Es ist die Verpflichtung des Staates, Rechtssicherheit herzustellen. Insofern finde ich es auch richtig, wenn sich die SPD ihre Bündnispartner notfalls woanders sucht.

Sie meinen, wenn im Bundestag ohne Fraktionszwang abgestimmt wird?

Ja. Die Ehe für alle war auch keine Position der Union, aber auch die haben wir bekommen. Und wenn es nicht mit der CDU geht, muss es eben auch mal ohne sie gehen.

Da spricht die DGB-Vizechefin, die einen DGB-Beschluss im Rücken hat, den Paragrafen 219a abschaffen zu wollen. Den gibt es seit Mai. Warum waren die Gewerkschaften lange so verhalten, was das Thema Lebensschutz angeht?

Am Samstag soll in Berlin der „Marsch für das Leben“ stattfinden, bei dem AbtreibungsgegnerInnen seit 2002 jährlich auf die Straße gehen. Mehrere Protestbündnisse wenden sich dagegen. Los geht’s mit einer Vorabenddemo am Freitag des Bündnisses „What the fuck“. Treffpunkt ist um 18 Uhr am U-Bahnhof Friedrichstraße.

Für Samstag rufen sowohl das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung als auch „What the fuck“ und „Reclaim Club Culture“ zu einem Aktionstag unter dem Motto „219a ist erst der Anfang! Leben schützen, Abbrüche legalisieren“ auf. Das Bündnis, dem unter anderem Pro Familia, der Arbeitskreis Frauengesundheit, Grüne und Linke angehören, fordert die Abschaffung der Paragrafen 218 und 219a StGB. Elke Hannack spricht bei der Auftaktkundgebung am Brandenburger Tor ab 12 Uhr. Zudem sollen vier Chöre den singenden Protest gegen die LebensschützerInnen anleiten. Um 13 Uhr startet die Demo gegen die AbtreibungsgegnerInnen.

Im Mittelpunkt der Arbeit von Gewerkschaften stehen Fragen der Arbeitswelt. Wir haben viele wichtige Themen auf der Agenda wie das Schließen der Lohnlücke zwischen Männern und Frauen, die partnerschaftliche Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie faire Aufstiegschancen für Frauen. Aber in der aktuellen politischen Situation sind wir bewusst auch bei anderen frauenpolitischen Themen solidarisch. Die Verfahren gegen Ärztinnen, die auf Anzeigen der sogenannten Lebensschützer zurückgehen, häufen sich. Sie sind der Anlass für die aktuelle Debatte über den Paragrafen 219a. Über unsere Haltung dazu konnten wir innerhalb der Gewerkschaften schnell eine große Einigkeit herstellen.

Weil die männlichen Gewerkschafter alle Feministen geworden sind?

Leider nein. Es gibt noch immer viele, die gleichstellungspolitische Fragen hintanstellen. In den Gewerkschaften üben Kollegen bei solchen Themen entweder große Zurückhaltung – damit ist es schwierig, Solidarität zu organisieren. Oder sie mischen sich extrem ein. Bei Minijobs zum Beispiel wissen Männer immer ganz genau, dass Frauen die wirklich wollen.

Müssen Frauen stärker für sich selbst sprechen?

Ich bin auf unserem Bundeskongress zu fast jedem frauenpolitischen Thema in die Bütt gegangen. Ich hänge diese Themen auf Vorstandsebene hoch, um klarzumachen, wie wichtig sie sind. Unser Vorsitzender Reiner Hoffmann transportiert sie ebenfalls. Auch in den Gewerkschaften selbst ist dort, wo der Frauenanteil wie bei Verdi hoch ist oder wo Frauen selbst an der Spitze stehen, das Thema gesetzt – zum Beispiel bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Marlis Tepe oder bei der Gewerkschaft Nahrung–Genuss–Gaststätten Michaela Rosenberger. In den Industriegewerkschaften sind gleichstellungspolitische Themen aber immer noch nicht selbstverständlich, weder in der Breite noch an der Spitze. Da müssen wir was tun: sie häufig ansprechen, konkrete Unterstützung einfordern.

Es gibt etwas mehr als zwei Millionen Frauen in den Gewerkschaften, ein enormes Potenzial. Bräuchte es da nicht viel mehr Bündnisse oder strategische Partnerschaften mit FeministInnen auch außerhalb des DGB?

Richtig, und deswegen sind wir einer von 60 höchst aktiven Verbänden im Deutschen Frauenrat. Wir solidarisieren uns mit dem Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung und sind bei den Prozessen der angeklagten Ärztinnen dabei. Und wir sind im Gespräch mit Justizministerin Katarina Barley. Die SPD hat ja dieselbe Beschlusslage wie wir.

Sie hat ihren Gesetzentwurf aber nicht eingebracht.

Katarina Barley hat in der Öffentlichkeit aber deutlich gemacht, dass sie optimistisch ist, bis Herbst eine Einigung mit der Union zustande zu bringen.

Also ein Kompromiss, keine Abschaffung.

Der DGB will mehr als einen Kompromiss. Wir fordern das Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihren Körper – mit allen Informationen, die dazugehören. Wenn Männer Kinder bekommen würden, gäbe es weder den Paragrafen 218 noch den 219a, da bin ich mir sicher.

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