Kolumne Helden der Bewegung: Hoffen auf Andy Murray

Geht es um gesellschaftliche Themen, versagen die meisten Topathleten. Nicht so Andy Murray. Was er sagt, hatte immer Hand und Fuß.

Andy Murray mit Tennisschläger

Andy Murray nach einem verlorenen Tennismatch Foto: dpa

Ich vermisse Andy Murray. Bekloppt oft schieben sich dieser Tage gesellschaftliche Themen in den Sport und überfordern dort regelmäßig Experten und Akteure. Plötzlich steht ein Spieler wie Mesut Özil, der zu schüchtern ist, um sich morgens beim Bäcker seine Brötchen zu bestellen, im Zentrum einer Identitätsfrage, an deren Beantwortung seit bald 40 Jahren jedermann gescheitert ist. Und das muss dann in Fernsehrunden und Leitartikeln fachgerecht eingeordnet werden; in einer Branche, deren Leitmedien Kicker und Sky sind.

In einer solchen Gemengelage braucht es Athleten, die nicht nur performen, Leistung bringen, Show machen, sondern direkt auch noch die Einordnung übernehmen. Top­athleten sind für diese Rolle weiß Gott nicht prädestiniert: sie sind jung, sie haben viel Geld, die meiste Zeit ihres Lebens verbringen sie mit Dingen, für die man Kinder beneidet.

Wenn’s bei einem Spieler zwickt, wird direkt das nächstgelegene MRT angeschmissen, um zu gucken, ob es die Abduktoren oder die Adduktoren sind. Weiter weg von der Realität der Durchschnittsbevölkerung sind vielleicht noch Zwergplaneten. Und es wird nicht besser; Nils Petersen hat Ende letzten Jahres den ernüchternden Schluss gezogen, dass er seit Jahren verblöde. Erstaunlich viele Kollegen stimmten ihm zu.

Entsprechend nimmt man auf komplizierte Nachfragen am liebsten die kürzest mögliche Antwort, die der Mediencoach auf eine Karteikarte gekritzelt hat. Nachdem im US-Open-Finale Serena Williams nach diversen Verstößen gegen das Reglement Punkt und Spiel abgezogen wurde, beklagte sie sich anschließend, Männern würden die Schiedsrichter viel mehr durchgehen lassen, es gebe eine grundsätzliche Ungleichbehandlung.

Novak Đjoković, Sieger bei den Männern, zuckte tags drauf nur mit den Schultern: „Es ist schwierig“, sagte er, „das zu generalisieren. Ich glaube nicht, dass wir das diskutieren müssen.“ Ein klassischer Slice: nur gucken, dass der Ball nicht allzu hoch abspringt.

Novak Đjoković ist in die Überforderungsfalle getappt. Denn ja, es ist schwierig zu generalisieren, aber gerade deswegen muss man diese Dinge ja diskutieren. Dazu braucht man Leute, die das auch ansatzweise können. Andy Murray zum Beispiel.

Olympisches Gold

Es gibt eine zauberschöne Interviewszene, als Andy Murray von einem Journalisten gefragt wird, ob es nicht extraordinary wäre, die erste Person zu sein, die zwei olympische Goldmedaillen im Tennis geholt habe. Andy Murrays Antwort: „Ich glaube, Venus und Serena haben je vier Stück gewonnen.“

Andy Murray spricht regelmäßig über den Sexismus in der Branche, setzt sich für gleiche Bezahlung ein und fordert mehr Frauen auf den Center Courts. Nachdem er sich Amélie Mauresmo als Trainerin genommen hatte, kommentierte er regelmäßig die Kritik, die erstaunlich oft sie traf: „Erschütternd war, dass nach jeder meiner Niederlagen sie angegangen worden ist. Eine Erfahrung, die keiner meiner anderen Coaches jemals hat machen müssen.“ Er habe viel über Ungleichbehandlung gelernt in jener Zeit. Und, noch viel wichtiger, darüber spricht er auch.

Andy Murray fiel 14 Monate wegen Hüftproblemen aus. Jüngst bei den US Open kam er in die zweite Runde, immerhin. Bleibt zu hoffen, dass er bald zu alter Stärke zurückfindet. Und sei es auch nur deswegen, damit man bei den Pressekonferenzen nicht nur Dinge hört, die blöder machen, als man eh schon ist.

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