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: Verschuldet und vernachlässigt: Puerto Rico ein Jahr nach dem Sturm

Ein Jahr danach ist Puerto Rico eine Insel unter blauen Plastikplanen, deren traumatisierte BewohnerInnen vor der nächsten Katastrophe zittern. Am 20. September 2017 war Hurrikan „Maria“ über die Insel gezogen, mehr als 3.000 PuertorikanerInnen kamen ums Leben. Die meisten von ihnen starben in den fünf Folgemonaten, als das Straßen-, Elektrizitäts- und Telefonnetz weiterhin am Boden lag und die HelferInnen viel zu langsam, zu spät, zu schlecht ausgestattet und in zu geringer Zahl vorankamen. Kurz vor dem traurigen Jahrestag klang es für die Überlebenden wie ein Hohn, als US-Präsident Donald Trump die Katastrophenhilfe als „fantastischen Job“ bezeichnete. Und die von der Inselregierung veröffentlichten Opferzahlen, die auf Studien von zwei US-amerikanischen Universitäten beruhen, als „Fiktion“ wegwischte, die von DemokratInnen erfunden worden sei, um ihn schlecht aussehen zu lassen.

Der Stromausfall auf der Insel war der längste der US-Geschichte. Erst im August galt die Stromversorgung als komplett. Freilich hat die von UmweltschützerInnen erhoffte Umstellung auf erneuerbare Energiequellen nicht stattgefunden. Die Karibikinsel hängt weiter vom Gas und Diesel ab, das von Übersee angeschifft wird. Die von den SchuldenverwalterInnen angeordnete Privatisierung der Stromversorgung wird das nicht ändern.

Sollte in der neuen Hurrikansaison, die noch bis Anfang November dauert, wieder ein Sturm in Puerto Rico wüten, wird das notdürftig reparierte Stromnetz genauso wenig standhalten können, wie die Plastikplanen, die weiterhin auf Tausenden von Häusern die zerstörten Dächer ersetzen. Auch die anderen Wunden klaffen tief. Puerto Rico hat mehr als 80 Prozent seiner Ernte verloren. Und der Exodus von der Insel hat sich verdoppelt. Mehr als 200.000 Puer­torikanerInnen sind in den zurückliegenden zwölf Monaten auf das Festland geflohen. Fast 400 Schulen sowie die medizinischen Versorgungsstellen in zahlreichen Dörfern sind geschlossen worden.

Am härtesten traf „Maria“ alte und kranke Menschen, die auf Versorgung angewiesen sind. Auf der Insel Vieques zerstörte der Sturm das Krankenhaus mit der einzigen Dialysestation. Seither wurden die 15 Dialyse­pa­tien­tInnen dreimal die Woche per Flugzeug zur nächsten Dialysestation geflogen. Fünf von ihnen sind unterdessen gestorben. Da die angeblich bestellte mobile Dialysestation bislang nicht angekommen ist, und da die Nothilfe für den Flugtransport in diesem Monat ausläuft, droht den zehn Überlebenden ein trauriges Schicksal.

„Maria“ war die zweite Katastrophe des Jahres 2017 für Puerto Rico. Wenige Monate zuvor musste die Insel ihre Zahlungsunfähigkeit erklären. Anstatt die unbezahlbaren Schulden in Höhe von 73 Milliarden Dollar zu streichen, zwangen die USA dem Territorium einen drakonischen Austeritätsplan auf, dessen Regeln auch nach dem Sturm weiterhin gelten.

Dorothea Hahn, New York