Texas-Feeling am Schlesi

Auf Goat Girl und ihren Southern-Punk-Sound können sich derzeit viele einigen

Goat Girl haben eine Nähe zum Surf und zum erdigen Rock ’n’ Roll

Von René Hamann

Wolfgang Doebeling ist ein komischer Kauz. Der 68-jährige Musikjournalist und Radiomoderator schreibt unter anderem für den Rolling Stone und hat eine beliebte Sendung auf Radio Eins, in der er sein eigentümlich übertriebenes Englisch pflegt (kein „Single“, das er nicht ohne betontes G ausspricht, kein Track, der nicht mindestens zweimal an- und abgesagt wird) und allerlei wurzelechte Musik spielt, die gern mal einen Country-Einschlag hat. Musikalisch ist das meist ganz knapp daneben, jedenfalls knapp neben des Rezensenten Musikgeschmack – hier und da gibt es trotzdem was zu entdecken.

So auch Goat Girl, eine Frauen­0band aus London, die es unterdessen sogar zu einem kleinen Hype gebracht hat. Doebeling hat deren Single (sic!) „Scum“ von 2017 in der Jahresbestenliste ganz nach oben gesetzt. Am Freitagabend eröffneten Goat Girl den traditionellen Indierock-Schwoof des Karrera Klub im Lido. Und schafften es, das altersmäßig interessant durchmischte Publikum mit einem einstündigen Programm zu begeistern. Es gab sogar Ansätze von Pogo in den ersten Reihen! Goat Girl, Indie-Rockband der Stunde.

Und es ist tatsächlich der Country-Einschlag, den ihre Musik aus dem Einerlei dieses ohnehin nicht mehr ganz so taufrischen Genres heraushebt. „Southern Punk“, so könnte man das auch nennen. Dabei kommen sie gar nicht aus den Südstaaten, nicht mal aus den USA! Live spielen sie mit Zusatzviolinistin und einem Quotenmann, der am Laptop für Zusatzgeräusche sorgt oder ein kleines Tasteninstrument bedient. Ihre Gitarrenläufe sind öfter einmal gegeneinander geschraubt, was dann immer so klingt, als würden sie sich leicht verspielen; ist aber Absicht. Dazu haben sie diese wunderschönen Twang-Effekt auf den Gitarren. Die Nähe zum Surf oder zum erdigen, sehnsüchtigen Rock‘n‘Roll á la Pulp-Fiction- oder From-Dusk-Till-Dawn-Soundtrack ist alles andere als Zufall – was ihren Erfolg sowohl bei retroseligen Hipstern wie auch bei den Altvorderen wie eben jenem Doeberling erklärt.

Die Songs halten Goat Girl dabei fast übertrieben kurz; so schaffen sie es, selbst ihren Hit „Scum“ in einer 1:20-Version runterzuspielen. Machte aber nichts, war trotzdem geil. Im Mittelpunkt steht natürlich Sängerin Clottie Cream, die rein äußerlich an die junge Winona Ryder erinnert, also eher zierlich und mädchen-kumpelhaft daherkommt; dann aber diese unfassbare Lana-del-Rey-Stimme hat, die eine so junge Frau gemeinhin eigentlich nicht haben sollte. Eine selbstbewusst tiefe, dunkle Stimme, die eher nach Gallonen von Whiskey, einem halben Leben im Nikotindunst, Autoaggressionen und gescheiterten toxischen Liebesbeziehungen erzählt.

„Hold tight to your pale ales/ Bite off your nationalist nails/ We’re coming for you, please do fear/ You scum aren’t welcome here“, singt sie dann aber mit dieser Hollywood-Diva-Stimme und diesem Lauren-Bacall-Charme, während sich ihre Mitstreiterinnen in den Hüften wiegen und lässig wie Kühe auf Kaugummis kauen. Richtig, Southern Punk: Die Musik klingt immer auch leicht nach texanischem Bierzelt; man sieht die Bierflaschen aus den Händen von Flanellhemdenträgern schon förmlich gen Bühne fliegen. Gut, wenn man dann einen Song im Programm hat, in dem man sechzehn Takte lang „I don’t care“ singen kann.

Aber an Selbstbewusstsein mangelt es den Londonerinnen ohnehin nicht. Dan Carey hat die vier mit den Kampfnamen (neben Clottie Cream wären das L.E.D., Naima Jelly und Rosy Bones) für das gleichnamige Debüt entdeckt, produziert hat sie Margo Broom. Erschienen ist es auf Rough Trade. Merchstand und Vorband gab es am Freitag nicht; auch wird sich ein Großteil des wie angedeutet älteren Publikums nach dem so kurzen wie aufregenden Auftritt wieder aus dem Lido verabschiedet haben; die Jugend harrte noch aus, um auf alten Hits von Franz Ferdinand das Tanzbein zu schwingen: Auch der Karrera Klub wird älter, inzwischen sind es gute zweiundzwanzig Jahre, und mit ihnen auch ihr Publikum.

Wolfgang Doebling war vermutlich auch da, es wird ihm gefallen haben. Auf Goat Girl kann man sich auch einigen.