„Wir sind entspannt“

Früher wurde „Mediapart“, die erste französische Onlinezeitung, verspottet. Heute hat sie 150.000 Abonnenten und macht 2 Millionen Euro Gewinn. Donatien Huet, Leiter der Zukunftswerkstatt, sagt warum

Ein Knüller: Donatien Huet von „Mediapart“   Foto: Karsten Thielker

Interview Harriet Wolff

taz am wochenende: Herr Huet, Me­dia­part war 2008 die erste reine Onlinezeitung Frankreichs. Mittlerweile haben Sie 150.000 Abonnent*innen. Woher kommt der Erfolg?

Donatien Huet: Im Gründungsteam waren einige ältere Journalisten, die zuvor oft lange für die Tageszeitung Le Monde gearbeitet hatten. Finanziell blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als digital zu starten. Das Netz war auch noch viel anarchischer als heute. Die Skepsis und der Spott in französischsprachigen Redaktionen über dieses Abenteuer waren riesig. Doch Mediapart hat dann sehr schnell investigative Scoops hingelegt. Zwischen 2010 und 2012 etwa schlugen unsere Recherchen zu Liliane Bettencourt ein, der L’Oréal-Erbin, sie war früher die reichste Frau der Welt. Bettencourt hatte Steuern hinterzogen und Nicolas Sarkozy im Wahlkampf 2007 mit illegalen Spenden bedacht. Genauso wie Muammar al-Gaddafi. Wir fanden heraus, dass er Sarkozy mit bis zu 20 Millionen Euro unterstützt hatte. Spätestens da hat man uns wahrgenommen. Und ernstgenommen.

Wie sah der französische Medienmarkt vor zehn Jahren aus, und was tut sich heute?

Die Kultur der investigativen Recherche war 2008 weitgehend verloren. Mediapart hat damals echt eine Leerstelle gefüllt. Jetzt erst, im Laufe der letzten Jahre, haben Le Monde, unsere stärkste Konkurrenz, aber auch Le canard enchaîné stark aufgeholt. Das freut uns, wir sind nicht neidisch – die Öffentlichkeit kann nie zu viele zuverlässige Hintergrundinformationen kriegen. Auch Rechercheverbünde sind wichtig. Wir arbeiten in Deutschland momentan mit Spiegel und Correctiv zusammen, wollen in Zukunft aber auch gern Projekte mit der taz starten. Noch mal zurück: 2008 waren die Eigentumsverhältnisse in den französischen Medien diverser. Inhaber hatten zum Teil noch einen professionellen Bezug zu ihren Produkten. Heute sind rund 90 Prozent der täglich verkauften französischen Zeitungen in den Händen von zehn Oligarchen, die nichts von Medien verstehen. Le Monde etwa gehört fast gänzlich dem Internetprovider Free, Le Figaro dem Flugzeughersteller Dassault, der auch mit Waffen handelt. Kritische Berichte aus diesen Bereichen findet man dort natürlich nicht.

Was macht Mediapart anders als andere Onlinemedien?

Wir versuchen nicht, thematisch fast alles abzudecken, das machen schon viel zu viele. Wir sind aber auch kein Nischenmagazin. Unser Schwerpunkt liegt auf ausführlichen, investigativen Geschichten, die meist länger sind als Printartikel. Hauptsächlich arbeiten wir zu harten Themen aus Politik und Gesellschaft. Aber Recherchen in der Modewelt oder im Sport können für uns genauso Thema werden. Klassische Aktualität interessiert uns nicht. Wir machen nur in Ausnahmefällen Breaking News. Wir betrachten wirklich alles vom investigativen Standpunkt aus und begreifen uns als Medium im linken Spektrum. Unsere Seiten im Netz kommen recht altmodisch daher, aber vielleicht mögen das ja besonders unsere Leser über 50.

Was ist Ihr Motto?

Eigentlich sind es zwei. Einmal: „Digital, partizipativ, zahlend“. Und: „Nur unsere Leser*innen können uns kaufen.“ Wir sehen uns als Austauschplattform, auf der man Themen teilt, daher auch der Name Mediapart. Alle, die ein Abo abschließen, kriegen ihren eigenen Blog, den sie nach Lust und Laune bespielen können. Wir haben rund 10.000 Blog­ge­r*innen, die untereinander viel diskutieren. Und wir präsentieren die Blogs optisch abgesetzt von Redak­tions­beiträgen in einer Auswahl auf der Startseite.

Was wissen Sie über Ihre Leserschaft?

Nicht viel, wir machen keine tiefergehenden Leser*innenanalysen, das beißt sich für uns mit dem Datenschutz. Wir wissen, dass wir mehr Leser*innen in den linksgeprägten französischen Städten haben als auf dem Land. Und dass die Mehrheit von ihnen über 50 ist. Wir wissen auch, dass es ihnen gut gefällt, dass wir unsere Seite nicht fortlaufend aktualisieren. Wir bieten nur dreimal am Tag Neues, um 9 Uhr, um 13 Uhr und um 19 Uhr. Das sind auch genau die Zeiten, die uns im Redaktionsablauf ganz gut taugen. Wir sind eigentlich ganz entspannt – der Wert eines Inhalts kommt bei uns immer vor dem Faktor Schnelligkeit.

Wie erreichen Sie jungen Menschen?

Wir versuchen innovativ zu sein, auch was die Formate angeht. Das gilt natürlich für alle Altersgruppen, aber hier ist es besonders wichtig. Mediapart will die Leserinnen unter 35 dort erreichen, wo sie sind. Soziale Medien sind dabei wichtig, Videos auf YouTube sind für uns zentral. Wir haben ein Mediapart-Studio, wir produzieren dort, wir senden einmal pro Woche einen Themenabend. Der ist dann gratis auf YouTube zu sehen. Und wir machen mit linken Video-Influencern wie dem in Frankreich prominenten „Usul“ Filme mit unserem Logo. Die haben oft über 200.000 und mehr Aufrufe, dazu wird viel in den Kommentaren diskutiert. Wir versuchen einfach das Beste aus der Tatsache zu machen, dass junge Menschen keine sichere Bank sind.

Eigentlich sind Sie im Onlinegeschäft nicht gerade state-of-the-art. Warum sind Sie trotzdem erfolgreich?

Donatien Huet

31, leitet die Zukunftswerkstatt von Mediapart. Der gebürtige Bretone war vorher bei Arte TV, der Badischen Zeitungund der Deutschen Welle. Er twittert unter @dodonatien

Journalismus! Nein, im Ernst, auch On­line­leser*innen verstehen schnell, ob du als Anbieter richtig guten, vertrauenswürdigen Journalismus anbietest. Wir wollen einfach niemanden intellektuell unterfordern – was viel zu oft in den Medien passiert.

Wo liegen Ihre Schwächen?

Wir möbeln gerade unser fades Erscheinungsbild auf und basteln an einer guten mobilen Version. Und wir wollen noch besser zwischen den Abteilungen zusammenarbeiten, neue Themen identifizieren. Das heißt, in Zukunft werden wir öfter in kleinen Teams zusammensein, wo Journalist*innen, Web­ent­wickler*innen und Marketingmenschen journalistische Produkte entwickeln.

Sie kennen den deutschen Medienmarkt, sprechen sehr gut Deutsch – wir sind gespannt, was Sie zur Zukunft der taz sagen.

Die taz finde ich eine wichtige demokratische und linke Stimme. Wenn sie noch wirksamer ihre Kernthemen wie etwa Umwelt, Frauen oder Menschenrechte auf den jeweils passenden Plattformen ausspielt, dann könnt ihr euch über kurz oder lang getrost vom Papier verabschieden. Na ja, zumindest unter der Woche.