Knutschen mit Keramik

Junge Künstler*innen entdecken die Brennöfen für sich. In Hamburg und Bremen beschäftigt sich eine Doppelausstellung mit der Materialgeschichte von Ton und Co. – und fragt, wie der Körper sich ins Gebrannte schleicht

Asana Fujikawas „Ihre Füße riechen bestialisch, die Blume duftet paradiesisch 2“ Foto: Tobias Hübel

Von Jan-Paul Koopmann

Unter all den Moden und Hypes, die in der zeitgenössischen Kunst kommen und wieder gehen, ist die Keramik aktuell eine der irritierendsten. Nicht weil das Material in der Kunst so abwegig wäre, sondern weil es im Gegenteil auf den ersten Blick nun doch eher wenig Ungesagtes gibt, seit irgendein Jäger und Sammler des Jungpaläolithikums vor rund 30.000 Jahren die Venus von Dolní Věstonice gebrannt hat. Und den Rest der Geschichte kennen Sie auch: von der Tonamphore im Römermuseum bis zu den Meißener Porzellanschätzchen, die bei Omas Haushaltsauflösung leider niemanden begeistern konnten.

Dass nun eine junge Künstler*innengeneration das Urmaterial wieder für sich entdeckt – und wegen einer über die Jahrzehnte dünne gewordenen Infrastruktur sogar loszieht, um sich eigene Brennöfen zu kaufen – das ist schon interessant. Und mehr noch: Dass sie mit ihrem an digitaler Kunst und anderen zeitgenössischen Positionen geschulten Blick aufs Material tatsächlich noch etwas ganz Neues damit veranstalten.

Nachvollziehen lässt sich das Comeback des Materials derzeit in zwei Ausstellungen mit dem gemeinsamen Titel „Further Thoughts on Earthy Materials“. Die Künstlerische Leiterin des Kunsthauses Hamburg, Katja Schroeder, und Janneke de Vries, scheidende Direktorin der Bremer Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK), haben sich zusammengesetzt, um der Keramik nachzugehen, die in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder in ihre Ausstellungen drängte.

Herausgekommen ist ein Pool von über 30 Künstler*innen, von denen die Materialkunde nun bespielt wird. Unter zwei grundverschiedenen Fragestellungen: Während Hamburg sich mit der Materialgeschichte, den Produktionsbedingungen und insbesondere auch den Reproduktionstechniken beschäftigt, sucht die GAK in Bremen nach jenen Momenten, in denen sich der Körper (im biologischen Sinn) in die Keramik einschleicht – ob als Handabdruck im Ton oder auch völlig immateriell als Assoziationskette.

Dass sich hingegen durch beide Ausstellungen ein Moment der Entschleunigung zieht, bringt das Material mit sich. Es ist zeitaufwendig in der Verarbeitung, braucht für den Brennvorgang viel Zeit, also Arbeitspausen – und widersetzt sich insgesamt dem Tempo-Tempo, das auch im zunehmend digitaleren Kunstgeschäft vorherrscht. Ganz bewusst steckt im Ausstellungstitel „Further Thoughts on Earthy Materials“ denn auch eine Anspielung an die „Speculations on Anonymous Materials“, mit denen das Fridericianum in Kassel vor fünf Jahren von sich und der digitalen neuen Welt reden machte.

Unter diesen Vorzeichen Ausstellungen über Keramik zu machen, klingt erst mal recht ab­strakt – und das ist es auch, obwohl es in beiden Schauen weit mehr zu sehen gibt als Vasen. Da ist in Hamburg etwa eine Videoarbeit von Neil Brownsword zu sehen, der die Keramik­industrie seiner Heimatstadt Staffordshire untersucht. Dieser Film „Factory“, mit seinen Industrieruinen und verlassenen Produktionsstätten, zeigt vor allem einen Niedergang und legt nahe: Mit dem Ende des Industriezeitalters stirbt auch erhebliches Wissen um die Arbeit mit dem uralten Material.

Dafür stehen auch die von Brownsword gesammelten Objekte in der Vitrine gleich nebenan. Sie sehen zwar aus wie Keramik, bestehen tatsächlich aber aus Plastik. Es sind Negativformen, aus denen die Gefäße hergestellt werden – systematisch beschädigt, um das Betriebsgeheimnis zu wahren.

Vasen hier, Vasen dort

Dieser ausdrücklich an der Produktionsgeschichte und Vermarktung orientierten Position völlig entgegen stehen in Bremen die Arbeiten „Kiss Portfolio“ und „Sixes and Sevens“: Hier kommunizieren Fotos einander beim Knutschen umwindender Männerzungen mit drei Tonfiguren. Die erinnern fast an die Zungen, wirken in jedem Fall organisch – sind aber je zwei Tongefäße, die in feuchtem Zustand ineinandergeschmettert und dann gebrannt wurden, um die biologisch scheinende Vereinigung für die Ewigkeit zu fixieren.

Überhaupt Vasen: Die sind erheblich interessanter, als man so denkt. Jennifer Tee sucht mit Hilfe ritueller Gefäße nach einer geheimen Ordnung des Kosmos, während direkt daneben Ingo Vetter abstrahierte Kulturgegenstände vorsätzlich fehlerhaft in Baustyropor reproduziert. Zwischen Vasen hier und Vasen dort liegt eine Spannung, die größer kaum sein könnte.

Die Vielfalt der Positionen in beiden Ausstellungen ist erschlagend. Es sind jedenfalls viel zu viele, um hier auch nur die interessantesten Positionen abzuhandeln. Andererseits aber auch gerade genug, um die Vielfalt der Zugriffe auf Keramik zu zeigen. Und viel vor hatten sie auch, wenn es darum geht, den allgemeinen Keramikhype der Szene abzubilden.

Dass es interessant werden würde, war einigermaßen klar – wie viel Spaß die Ausstellungen dabei zusätzlich noch machen, ist hingegen eine freudige Überraschung. Und das gilt für beide Ausstellungen, auch wenn die Fahrt zwischen Hamburg und Bremen etwas mehr Aufwand bedeutet als ein normaler Museumsbesuch.

Und um es noch ein bisschen komplizierter zu machen: Wegen der zahlreichen Performances im Rahmen der Schau ist es sehr ratsam, vorm Besuch einen Blick in die Veranstaltungskalender der beiden Häuser zu werfen.

Bremen, Gesellschaft für Aktuelle Kunst: bis 18. 11.Hamburg, Kunsthaus: bis 25. 11.