Hamburger Zweitliga-Derby: Mutlos in Mordor

Rund um das erste Zweitliga-Stadtderby in Hamburg zwischen dem HSV und dem FC St. Pauli geht es überwiegend friedlich zu.

HSV-Fans zünden Pyrotechnik Foto: Christian Charisius/dpa

HAMBURG taz | Es liegt ein Hauch von G20 über Hamburg, vor diesem Derby. Eine Polizei, die ein Aufeinandertreffen von 1.000 gewalttätigen Chaoten, zum Teil aus dem Ausland prophezeit und gleichzeitig verkündet: „Wir sind auf alles vorbereitet.“ Polizeiportale für Freizeit-Denunzianten, auf denen diese die Bilder von möglichen Straftaten ablegen sollen. Und am Ende noch Helikopter-Gebrumme und Blaulichtalarm im Schanzenviertel. Doch der Vergleich trügt: Bis in die frühen Abendstunden bleibt es rund um das Zweitliga-Derby zwischen dem HSV und dem FC St. Pauli ruhig. Und auch auf dem Platz wollen sich beide Mannschaften nichts tun – am Ende trennen sie sich 0:0.

Das Vorspiel: St. Pauli-Fans zerstören gewaltsam Teile einer HSV-Choreografie, unbekannte Täter knüpfen Strohpuppen in den St.-Pauli-Fanfarben an Autobrücken auf und verüben am Vorabend einen Buttersäure-Anschlag auf den S-Bahnhof Bahrenfeld, über den die St.-Pauli-Fans zum Lokalderby anreisen. Die Polizei befürchtet Ausschreitungen und viele Fans das Schlimmste. Anhänger beider Klubs, gerade die mit Kindern, bleiben dem Volksparkstadion fern, weil sie Auseinandersetzungen befürchten. Die Atmosphäre vor dem Derby ist angespannt.

Die Anreise: Die Fans vom FC St. Pauli machten sich gemeinsam auf den Weg zum Volkspark. Schon morgens um neun treffen sie sich am Millerntorstadion, dann geht es über die Landungsbrücken mit der S-Bahn nach Bahrenfeld. Im S-Bahnhof Bahrenfeld stinkt es immer noch nach Buttersäure. Etwa eine Stunde marschieren St.-Pauli-Fans durch Bahrenfeld. Sie werden dabei von AnwohnerInnen über die Balkone mit Bier versorgt, dies wird ihnen mit Fangesängen gedankt. Auch Oke Göttlich und Jan Phillip Kalla mischen sich zwischenzeitlich unter die Gruppe. Die Situation bleibt die ganze Zeit friedlich, die BeamtInnen an der Strecke verhalten sich zurückhaltend.

Die Stadien: Rund um das Volksparkstadion gelingt es der Polizei, die gegnerischen Fans voneinander fernzuhalten. Viele Polizisten, die für die Trennung der Fans zuständig sind, haben ihre Helme abgenommen. Die Pferdestaffel steht bereit. Hinter der Westtribüne warten die Wasserwerfer auf ihren Einsatz. Im Stadion werden die 5.700. St.-Pauli-Fans, die eine Karte ergattern konnten, von etwa 150 Ordner von den HSV-Anhängern abgeschirmt.

Vier Kilometer entfernt füllt sich das Millerntor zum Public Viewing. Die Gegengerade und die Südkurve sind geöffnet, drei Leinwände aufgebaut, die sich später als zu klein erweisen, um jedem der 15.200 Versammelten eine gute Sicht zu erlauben. Wie das 57.000 Zuschauer fassende Volksparkstadion ist auch das Public Viewing seit Langem ausverkauft – 72.000 Fans sehen so in beiden Stadien das erste Stadtderby seit über sieben Jahren.

Das Spiel: Als die Spieler des FC St. Pauli den Rasen des Volksparkstadions betreten, empfängt sie ein gellendes Pfeifkonzert. Als Minuten später die HSV-Akteure das Spielfeld entern, übertönt eine donnernde Einlauffanfare die Unmutsbekundungen der St.-Pauli-Fans. Die HSV-Fans sind neun mal so viele wie die St. Paulianer, doch denen gelingt es immer mal wieder, mit ihren Fangesängen zu dominieren. Viele Fahnen, ein paar Pyros, Schmährufe in Richtung des gegnerischen Fanblocks – all das bleibt im Rahmen eines ganz normalen Zweitligaspiels.

Am Millerntor gibt es die Bilder aus Mordor ohne Kommentar zu sehen. Über ein Mikro aus dem St.-Pauli-Fanblock wird der Ton ans Millerntor übertragen – so klingt es nach Heimspiel. Es ist eng auf den Tribünen, die Stimmung lange etwas verhaltener. Unbeirrt singen die gut 15.000 Versammelten ein Möwenpaar an, denn mehr passiert auf dem Platz nicht. Und erst als sich die Partie dem Ende nähert, ist am Millerntor die Hölle los: Die Atmosphäre erreicht Heimspiel-Hochdruck.

Der Sport: HSV-Trainer Christian Titz hat einen klaren Matchplan. Kein Tor fangen, den Gegner müde spielen und wenn dieser müde ist: der Lucky-Punch, das 1:0. Auch St.-Pauli-Trainer Markus Kautschinski hat einen Matchplan. Kein Tor fangen, den Gegner irgendwann auskontern, wenn dieser müde wird und dann: der Lucky-Punch, das 0:1. So kontrolliert der HSV Spiel und Gegner, spielt aber zu ideenlos, um den Abwehrriegel der St. Paulianer zu knacken. Und St. Pauli kontert nur mutlos, die Defensivspieler rücken nicht mit auf und sichern lieber ab. So gibt es kaum Chancen, bis in der zweiten Minute der Nachspielzeit Cenk Sahin zwei HSV-Spieler umdribbeln kann und aus 50 Meter auf das HSV-Tor abzieht. Torhüter Julian Pollersbeck steht wie immer weit vor seinem Kasten, muss zurückeilen und erreicht den Ball gerade noch mit den Fingerspitzen, bevor er sich unter die Latte senkt. Es fehlen Millimeter und Sahin wäre für die Fans vom Kiez für immer ein Held gewesen. So bleibt es beim 0:0.

Die dritte Halbzeit: Während die meisten HSV-Fans das Stadion schon verlassen haben, bringen die St. Paulianer ihrer vor der Südkurve versammelten Mannschaft ein Ständchen. In Mordor nicht abgemetzelt zu werden, fühlt sich nach Heldengeschichte an. Doch als die Gesangseinlage bemerkt wird, dreht die Stadionregie die Lautsprecher auf und beschallt den Volkspark mit HSV-Hymnen.

Rund um das Stadion bleibt es friedlich, der Abmarsch verläuft säuberlich voneinander getrennt. Eine dreiviertel Stunde nach Abpfiff rasen die Wasserwerfer im Eiltempo zur Reeperbahn. Am Volkspark wird schweres Gerät nicht mehr gebraucht, doch in St. Pauli erwartet die Polizei in den Abendstunden Randale. Es droht, eine lange Nacht zu werden.

Mitarbeit: Tanja Stier und Silke Langhoff

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.